19.01.2019, Das Magazin

Ein Tag im Leben von Blanda Eggenschwiler

Blanda Eggenschwiler (33), Schweizer Künstlerin, lernte erst in Los Angeles, gern für sich zu sein.

Protokoll: Stephanie Rebonati
Bild: Privat

Hätte mir 2014 jemand gesagt, dass ich ein Jahr später allein in Los Angeles leben und ein Auto namens Pablo besitzen würde, hätte ich ihm fadengerade ins Gesicht gelacht. Doch genauso kam es. Kurz vor meinem dreissigsten Geburtstag begriff ich einen Gedanken, den ich einst bei Blaise Pascal gelesen hatte: Das ganze Unglück der Menschen rühre allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen. Endlich gelang mir, was mir in all den Jahren zuvor nicht gelingen wollte: Ich konnte mich mit Unsicherheit und Einsamkeit auseinandersetzen – Gefühle, die mich damals immer wieder plagten.

Meine Zwanziger hatte ich in New York verbracht, wo ich visuelle Kunst studiert und als Grafikerin und Art-Direktorin gearbeitet hatte. Dann war ich für einen Mann von New York nach Los Angeles gezogen. Als die Beziehung in die Brüche ging, breitete sich vor mir das Chaos aus: Ich hatte kein Zuhause, keinen Freund, keinen festen Job. Nichts, was mir eine Tagesstruktur gegeben hätte. Hinzu kam, dass mein Visum auslief. Ich war zu jenem Zeitpunkt bereits sieben Jahre in den USA. Um aus dem Chaos hinauszufinden, musste ich in mein Inneres gehen, wo mich viel Unangenehmes empfing. Jene Zeit war, ich finde keinen treffenden Begriff, krass. Ich hatte Panikattacken, wusste nicht, wohin. Ich zwang mich, ganz ehrlich mit mir zu sein. Wer bin ich? Wie und wo möchte ich leben? Mit welchen Themen möchte ich mich auseinandersetzen?

Mein dreissigster Geburtstag kam, und ich freute mich auf die Jahre, die er einläuten würde. Seither bringt jedes Jahr mehr Ruhe, Selbstbewusstsein und Fokus in mein Leben. Das schätze ich. In Los Angeles habe ich als freischaffende Künstlerin mehr Raum und Weite als in New York. Die Sonne scheint, und wenn ich morgens aufwache, sehe ich Palmen und Kolibris vor meinem Fenster. Ich arbeite selbstständig, konzipiere für Modelabels, Restaurants und Klubs Prints, Plakate, Verpackungen, auch grossflächige Murals und Innenraumgestaltungen. Meine Zeichnungen, Collagen und Arbeiten auf Leinwand werden regelmässig ausgestellt. In L.A. stiess ich auf fruchtbaren Boden, weil sich kulturell und sozial hier gerade viel tut, man spürt eine gewisse Renaissance. Viele Kreative ziehen zum Beispiel von New York her, um die Kultur- und Kunstszene mitzuprägen und einen ruhigeren Lebensstil zu pflegen.

Früher wäre ich niemals allein essen gegangen. Oder ins Kino. Heute setze ich mich jeden Morgen in ein Café und lese, zeichne, schreibe. Etwa eine Stunde lang. Es ist wie eine Meditation, eine Basis, von der aus ich in meinen Tag starten kann. Mehrmals die Woche drehe ich im Griffith Park, der fünf Autominuten von meiner Wohnung in Los Feliz entfernt liegt, meine Solorunden, bei denen ich oft auf Kojoten treffe. Ich mag die Symbolik und Mythologie dieser Tiere und deute die Begegnungen als gute Omen. In der Traumdeutung wird der Kojote nämlich als Sprachrohr des Unterbewusstseins gesehen.

Heute spüre ich schlichtweg Erleichterung, dass meine Zwanziger in einer kleinen Schatulle versorgt sind. In New York war ich ständig unterwegs, wohl weil die meisten meiner Freunde im Nachtleben und in der Gastronomie tätig waren. Von der Uni gings ins Café, von dort zum Dinner und weiter in den Klub. Ich möchte jene Zeit niemals missen, doch heute kann ich mich viel besser so akzeptieren, wie ich bin. Ich weiss, welche Leute mir guttun und welche nicht.

Jetzt bin ich 33, was schon immer meine Lieblingszahl war. Als ich an meinem Geburtstag die Kerzen ausblies, dachte ich: Ich kann nun allein zufrieden sein; ich brauche niemanden, der mich ergänzt. Und ich wünsche mir einen Partner, dem es genauso geht. Wie sich später herausstellte, sass dieser Mann mir gegenüber und lächelte, als ich die Kerzen ausblies.

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