09.03.2019, Das Magazin

Ein Tag im Leben von Flynn McGarry

Flynn McGarry (20) ist Koch, Star des Dokumentarfilms «Chef Flynn», Inhaber des Restaurants Gem in New York – und hatte einen Schweizer Lehrmeister.

Protokoll: Stephanie Rebonati
Bild: Privat

Ich begann als Zehnjähriger mit dem Kochen. Wohl weil meine Eltern dafür nicht taugen. Rasch merkte ich, dass es mir liegt, und mit zwölf verwandelte ich unser Wohnzimmer in einen Supper Club. Zuerst kamen nur Freunde, dann Freunde von Freunden und so weiter. Damals spielte ich auch Gitarre und malte, doch nichts fiel mir so leicht wie das Kochen. Kochen ist hart, aber nicht kompliziert. Ich kann mir die Abläufe erklären, die Rätsel lösen, das kann ich vom Musizieren nicht behaupten. Ich wollte schon immer nicht bloss etwas tun, sondern etwas richtig gut beherrschen. Ich blieb also beim Kochen, organisierte Pop-ups und absolvierte Praktika in Restaurants, die mich interessierten. Als ich die Küche des Schweizer Sternekochs Daniel Humm in New York betrat, wusste ich sofort, dass ich eines Tages auch so einen Ort haben möchte. Einen Ort mit einer solchen Intensität und Hingabe zu Details.

Im Grunde habe ich mein ganzes Leben lang auf den 27. Februar 2018 hingearbeitet. An jenem Tag, es war ein Dienstag, eröffnete ich mein erstes Restaurant. Es heisst Gem und befindet sich in Manhattans Lower East Side. Einen Monat vor der Eröffnung feierte zudem der Dokumentarfilm «Chef Flynn», den Cameron Yates über mich gedreht hatte, am Sundance Film Festival in Salt Lake City Weltpremiere. Ich reiste zuerst nach Salt Lake City und dann nach Deutschland an die Berlinale, wo ich für vierhundert Leute kochte. Es war eine intensive Zeit. Dann ging es, zurück in New York, ans Eingemachte: die Eröffnung meines Restaurants. Ich begriff zum ersten Mal, dass es nun kein Halten gibt. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich mich fortan an eine komplett neue Arbeitsweise gewöhnen musste. Ohne Ende in Sicht.

Die ganzen Supper Clubs und Pop-ups, die ich in den letzten Jahren in Los Angeles, San Francisco und New York gemacht hatte, waren stets temporär. Vollgas für eine begrenzte Zeit – für mich gibt es keine bessere Motivation, als ein Ziel vor Augen zu haben, einen Neustart. Endlos zu arbeiten, dünkt mich deprimierend, dann ist es einfach ein Job. Um dieses Gefühl zu vermeiden, führte ich bei Gem zwei Schliessungen pro Jahr ein, je eine im August und Dezember. Bevor wir das im Sommer zum ersten Mal taten, waren wir erschöpft. Als dann diese vermeintliche Schliessung in Sicht war, packte es uns. Wir legten einen perfekten Endspurt hin. Wir räumten die Einrichtung in den Keller und putzten jeden Zentimeter. Für uns ging eine kleine Ära zu Ende. Ich reiste nach Kopenhagen und ass in richtig guten Lokalen. Das war grossartig. Als wir eine Woche später zurückkehrten, fühlte sich alles neu an. Wir spürten regelrecht, wie sehr wir das lieben, was wir hier tun.

Bei der Einrichtung von Gem habe ich mir ständig überlegt, wie man einen persönlichen Raum gestaltet, in dem sich Gäste automatisch wohlfühlen, ohne unbedingt zu wissen, weshalb. Das Konzept ist bodenständig und gleichzeitig kostbar. Ich hatte etwa eine Obsession: runde Kanten. Im ganzen Raum gibt es keine scharfe Kante. Dieses Detail bemerkt man aber erst, wenn man darauf aufmerksam gemacht wird. Nichts springt dem Betrachter ins Auge, alles verschmilzt, und man geniesst ohne Ablenkung. Diese Haltung habe ich in Skandinavien gelernt: Im Raum wie auf dem Teller kommt alles harmonisch zusammen, ohne auffällig zu sein. Ich hoffe, dass diese Art von Restaurant das High-End-Restaurant der Zukunft ist.

Als Gem am 27. Februar 2018 zum ersten Mal offen hatte, fühlte es sich für uns wie eine krönende Vollendung an. Wir wussten aber auch, dass es sich für die dreissig Gäste, die wir erwarteten, um einen relativ normalen Abend handelte: Sie hatten einfach in einem neuen Lokal in der Lower East Side einen Tisch reserviert. Wir wollten aber, dass der Abend auch für sie eine Krönung wird. Wir mussten Vollgas geben.

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