13.07.2019, Das Magazin

Ein Tag im Leben von Leah Victoria Hennessey

Leah Victoria Hennessey (30), New Yorker Theatermacherin, Schauspielerin und Sängerin, über den Moment, als ihr klar wurde, was sie wirklich will.

Von Stephanie Rebonati
Bild: Privat

Lange Zeit dachte ich, ich sei einfach eine Autorin, die ab und zu ihre eigenen Werke aufführt. Ich hatte nicht genug Mut, um als Performancekünstlerin hinzustehen. Dabei ist Performance eigentlich das zentrale Element meiner Arbeit – egal ob als Theatermacherin oder als Sängerin meiner Band Hennessey oder als Schauspielerin in meiner Webserie «Zhe Zhe».

Das begriff ich aber erst an einem besonderen Sommertag im Jahre 2016 an einem Privatstrand im Bundesstaat New York. Ich befand mich damals in einer Art Depression vor jener grossen Depression, in die wir irgendwie alle mit der Wahl Donald Trumps im Herbst 2016 stürzten.

Emily Allan, meine Co-Autorin, erzählte mir in diesem Sommer, dass ein gemeinsamer Bekannter an einem Strand auf Shelter Island «Die Möwe» von Anton Tschechow inszenieren werde. Ein Jahr zuvor hatten sie und ich, in einem Gemeinschaftsgarten im East Village in New York City, ebenfalls ein ortsspezifisches Theaterstück aufgeführt.

Dass unser Bekannter uns nun weder hinzuzog noch einlud, das empfanden wir als Frechheit. Schliesslich hatten wir zu jenem Zeitpunkt auch schon zig Episoden unserer Webserie «Zhe Zhe» publiziert – und in unserer Selbstbezogenheit den Eindruck, dass wir nicht die Anerkennung erhielten, die uns eigentlich zustand. Eine Art paranoide Wut machte sich in uns breit – wir wollten dazugehören, wir wollten Eingeweihte sein!

Am Morgen der Aufführung machten wir uns also ohne Einladung auf den Weg nach Shelter Island. Unsere Stimmung war eine absurde Mischung aus Aufregung und Anspruchshaltung. Ich plapperte zusammenhanglos, sagte, dass ich nun Nietzsches «Wille zur Macht» verstünde und den Sinn des Lebens begriffen hätte.

Am Strand angekommen, blies der Wind durch meine Kleider, sodass ich mich wie Lawrence von Arabien fühlte. Wir schwammen hinaus, um einen besseren Blick auf den Privatstrand zu erhalten. Doch allmählich bekam ich das Gefühl, dass dieser Anlass nicht im Geringsten etwas mit uns zu tun hatte. Als wir die Gruppe entdeckten und zu ihr stiessen – es handelte sich um ein Picknick-Theater für einen kleinen, bourgeoisen Kreis –, wurden wir freundlich aufgenommen. «Die Möwe» begann, und wir blickten aufs Meer hinaus. Das Licht war perfekt, der Strand in Gold getaucht.

Dieser Strandtag, der in voller Rage begann und in reiner Euphorie zu Ende ging – ich legte an der After Party Donna Summer auf und tanzte barfuss im Garten –, hatte mich wachgerüttelt. Ich verstand plötzlich, dass sich die Welt nicht um mich und Emily drehte, dass wir keine etablierten Theatermacherinnen waren. Die kollektive Depression, in der wir uns im Sommer 2016 befanden, hatte sich auf unsere Wahrnehmung ausgewirkt und uns engstirnig gemacht.

Ein kraftvolles Bewusstsein wuchs in mir heran. Ich wusste plötzlich, dass ich mich fortan intensiv mit Theater auseinandersetzen werde und dass ich anregende, neuartige, aber historisch verankerte Konzepte und Inhalte auf die Bühne bringen will, die die Grenze zwischen satirisch/camp und spirituell/ ernst aufzuheben vermögen. 

Mein Traum ist es, diese Sphären nicht in Opposition zueinander zu begreifen, sondern als Einheit. Und ich bin überzeugt, dass uns beiden, Emily und mir, das mit unserem Theaterstück «Slash» gelungen ist. Das Stück handelt von zwei weiblichen Figuren, die Rollenspiele und homoerotische Fan-Fiction einsetzen, um ihrer Realität zu entkommen. Ursprünglich waren bloss vier Aufführungen geplant, doch das Stück ist wegen des grossen Interesses ganze vier Monate lang gelaufen.

DOWNLOAD PDF

Webdesign und Webagentur Zürich