15.05.2014, Der Bund

Sie kann und will nicht anders

Kann man ein Feuerwerk in eine Schublade stecken? Francisca Silva explodiert in der Stadtgalerie Bern.

Von Stephanie Rebonati
Foto: Isabella Krayer & Valentina Minnig

Man kann so viel und gleichzeitig so wenig über die 30-jährige Tessiner Künstlerin Francisca Silva sagen. So viel, weil ihr Werk ein schrill-buntes, betörendes Konglomerat aus Skulpturen, Malereien, Zeichnungen, Textilien und Tätowierungen ist. So wenig, weil sie ungern über sich und ihre Arbeit spricht. Sie sagt: «Ich könnte sentimentalen Blödsinn erzählen, aber ich möchte meine Kunst nicht mit Wörtern töten.» Im Rahmen einer Gruppenausstellung ist Silvas Werk in der Stadtgalerie in Bern zu sehen.

Francisca Silva ist ein toughes Mädchen, ein Macho, eine lesbische Frau. Die Tochter politischer Flüchtlinge aus Chile kam 1984 im Tessin zur Welt, ging in Italien zur Schule, studierte in Zürich Bildende Kunst und zog 2012 nach Berlin. Sie ist klein und rund, ein wandelndes Kunstwerk. An Armen und Beinen trägt sie Schmuck - so nennt sie ihre Tattoos. Die meisten zeichnet und sticht sie selbst. Ein Meer aus Wolken, eine Axt, ein Delfin, eine nackte Puppe. In zittrigen Lettern die Frage: «Are you going to break my heart?»

Mit Pistole und Tinte

Francisca Silva tätowiert auch andere - an Performances und in Off-Spaces anderer Kunstschaffender, an Vernissagen und Lesungen von Berlin bis Lugano. Mit Pistole und Tinte heisst sie Macho & Her Gun. Macho heisst auch ihr One-Woman-Verlag, und Macho ziert als Schriftzug auch Francisca Silvas linken Oberschenkel.

Es sind diese Kreisläufe, die ihr Verständnis als Künstlerin prägen; es ist ein dichtes, vielgesichtiges Werk. Macho und Tattoos, nur eine Facette, eine Phase, ein Drang: als blosses Wort, als Konzept, als Image. Genauso wichtig, aber imposanter sind ihre überschwänglich gestalteten, begehbaren Installationen aus Karton - 2012 erstmals öffentlich gezeigt im Helmhaus Zürich. Eine Höhle, aussen weiss gestrichen, innen eine farbig-eklektische Collage aus Selbstporträts, Zeichnungen, Scherenschnitten und Skulpturen in Vaginaform.

Silva lud das Publikum in ihr Universum ein und stellte mit dem Titel klar, was das für eines sein wird: «This Is Not a Love Story». Obwohl ihre Kunst genau das ist: Ausdruck ihrer ambivalenten Liebesgeschichte mit der Torheit und Schönheit dieser Welt. 2013 baute sie im Kunstmuseum Baselland wieder - grösser, farbiger, der Titel kryptischer: «Makumba - Temple of YOLO». Damals in Basel, per Zufall, indem sie einen Pinsel reinigte, begann ein neuer Kreislauf in Form eines Motivs, der nun in Bern zu sehen ist.

«Die Würmchen sind ein Witz»

Es sind Würmchen. Kleine, gekrümmte Striche, Pinselstriche, mal mit Farbe, mal mit Spraydose, verursacht durch eine simple Bewegung des Handgelenks. In allen Farben, auf diversen Medien: auf grossen Leintüchern, die mit Triangeln aus karibischem Batikstoff bestickt sind. Auf T-Shirts, die an schweren Metallketten von der Decke hängen. Auf Kapuzenpullovern und Caps.

Doch nicht nur Textilien, auch Karton und Holz sind in dieser Ausstellung präsent, in Form kubischer Figürchen gefertigt aus den Materialresten der Grossinstallationen. Auf weissen Sockeln ruhen sie, aufeinandergestapelt, verwinkelt, anmutig trotz ihrer klobigen Gestalt. Das Abbild dieser Skulpturen wiederum ist mit Acryl auf Leinwand gemalt - der Hintergrund eine bunte Würmchenkolonie. Die reduzierte, mit Filzstift gezeichnete Version dieser kleinen Holzbauten dient als neue Tattoo-Vorlage in Macho & Her Guns Plastikmäppchen. Ein Kreislauf.«Die Würmchen sind ein Witz», sagt Francisca Silva, ein herzliches Grinsen im schmalen Gesicht. Sie trinkt Kaffee, lässt kanadischen Elektropop laufen. Es ist früh am Morgen, in der Stadtgalerie wird die Ausstellung aufgebaut. Es fällt Silva schwer, sich zu erklären. Die Kunst, die passiere einfach, vielleicht sage sie nichts aus, sei bloss Lifestyle und Business.

Trotz der Jugend, Ernst des Lebens

Fakt ist: Sie kann nicht anders. Seit sie denken kann, malt und baut sie. Es ist ihr Versuch, die Welt zu verstehen. «Vielleicht bin ich eine 30-jährige Frau, die für immer 25 sein will, wenn nicht 20. YOLO Forever», sagt sie. Nicht selten nennt sie das, was sie macht, sowie sich selbst und die Welt überhaupt, einen Scherz, «one big joke mit viel Pathos».

Es ist schwer zu eruieren, ob diese oft plakativ wirkenden Aussagen verspäteter Teenagertrotz oder ungekünstelte, brutal ernst gemeinte Wahrheiten sind. Wahrheiten über eine lesbische Künstlerin in einer hetero-normativen Gesellschaft, die nach einem Leben strebt, das ausschliesslich der Kunst gilt. Die weder für ihre Sexualität noch für ihre Liebäugelei mit dem Kommerz und dem brachialen Umgang mit Materialien Rechenschaft ablegen will. Die hinsteht und sagt: «Ich bin hier, und ich habe etwas zu sagen!» 

Sie sagt es mit einer farbig-frischen Explosion, die gleichzeitig an die Neunziger, an LSD, Lady Gaga und die radikal-unvoreingenommene Philosophie der Designgruppe Memphis denken lässt. Als Titel der Ausstellung dient der Name der Künstlerin. Francisca Silva. Authentischer gehts kaum.

Bis 31. Mai, www.stadtgalerie.ch, Heute, 18.30 Uhr: Francisca Silva im Gespräch mit der Kuratorin Anna Bürkli. Morgen, 16-19 Uhr: offene Tattoo-Performance mit Macho & Her Gun.

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