03.12.2015, Hochparterre

Elf Gramm Poesie

Der Architekt und Industriedesigner Thomas Horvath hat den leichtesten Drachen der Welt konstruiert.
Er fliegt ohne Wind und verdient damit den Hasen in Gold.

Von Stephanie Rebonati
Fotos: Andrin Winteler

Wenn er so daliegt, wirkt er wie ein ruhender Falter. Sein durchsichtiges Segel schimmert wie Perlmutt. Der Drachen «I’ll be back» hat eine Spannweite von einem Meter und sieht auf einem grossen Arbeitstisch fast schon klein aus. Doch dieses vermeintlich rein ästhetische Objekt ist Hightech pur. Um es zu konstruieren, baute sein Erfinder Thomas Horvath Schneideplotter, Drehbank, Näh- und Umspulmaschinen um. Er installierte Speziallampen, kaufte Brillen mit erhöhter Dioptrie, feinste Werkzeuge, die es ihm ermöglichen, im Millimeterbereich zu arbeiten.

Der 55-jährige Zürcher baut jeden Drachen selbst. «Türe zu, Telefon ab, denn die Drachen lassen sich nicht wie ein Leintuch nähen», sagt Horvath. Die Toleranz in der Symmetrie beträgt weniger als einen halben Millimeter. Höchste Präzision und Konzentration sind gefragt. Das Gerüst des Drachens wird aus zwei Metern Karbonstab gebaut. Ein Erwachsener kann drauftreten, ein Hund reinbeissen – trotzdem brechen die eineinhalb Millimeter dünnen Stäbe nicht. Das Segel besteht aus hauchdünnem, farblosem Spectra-Laminat, einem extrem leichten Polyethylen aus Nordamerika. Spectra ist die Marke der Rohfasern, die als kristalline Struktur aufgebaut sind und eine niedrige Dichte aufweisen. Deshalb gelten sie als die dehnungsärmsten Fasern überhaupt und lassen sich nicht zerreissen. Ein wichtiger Vorteil, denn das Segel wird leicht übersehen, wenn es auf dem Boden liegt.

An Nase, Kiel und an den Flügelspitzen und Leitkanten wird das Flugobjekt durch symmetrisch geschnittene schwarze Polyester-Elemente namens Icarex eingefasst. Da wird genäht und nicht geklebt. Horvath will mit geringstem Materialaufwand ein Maximum an Qualität erreichen. «Dann ist es fast schon echter Minimalismus», sagt er und kehrt seinen Drachen um. Er deutet auf die Waage. Sie besteht aus ummantelten Spectra-Schnüren, die in Kanada nach Horvaths Vorgaben geflochten werden. Die Waage ist das Bindeglied zwischen Drachen und Kabel.

Die Konstruktion interpretiert das ‹Tensegrity›-Prinzip des amerikanischen Konstrukteurs Richard Buckminster Fuller. Die Struktur steht unter Spannung (tension), und alle Teile sind miteinander verbunden (integrity). Das Prinzip macht den Flugkörper elastisch und trotzdem stabil. Die Kombination aus Hightech und Poesie wiegt gerade mal elf Gramm. In der Luft ist der Drachen agil und gleichzeitig langsam. Nach einem Impuls, einem Ziehen am Kabel, entschleunigt er sofort und gleitet weiter, als ob nichts geschehen wäre. Er kann in aller Ruhe vor sich hin schweben und kurz vor dem Boden wieder steil nach oben zielen. Auch in Innenräumen – besonders diese Fähigkeit fasziniert. Denn Horvaths Drachen brauchen keinen Wind. Der Erfinder räumt zwar ein: «Ein Hauch wie abends am Meer oder eine chaotische Thermik in den Bergen ist immer schön.»

Bei herkömmlichen Lenkdrachen müssen die Schnüre stets gespannt sein, sonst kommen die Flugobjekte runter. Horvaths Drachen wollen rauf. Die Spule liegt am Boden und die Schnur ruhig in der einen Hand. Nur gelegentlich gibt man dem Drachen Impulse, wenn er kreisen, nach oben schweben oder nahe am Boden gleiten soll. Der Rest ist zusehen und loslassen.

Der Ursprung des Namens ‹I’ll be back› ist weit weniger elegant als die Erscheinung des Drachens. Das Zitat stammt aus einer Filmszene, in der Arnold Schwarzenegger alias ‹Terminator II› auf dem Polizeiposten nicht beachtet wird, dem Polizisten tief in die Augen blickt und sagt: «Ich komme wieder.» Als er das tut, fährt er mit einem monströsen Geländewagen die Wache platt. Das macht der Drachen natürlich nicht. Er ist ganz leise, beinahe graziös, und doch geht das Bild auf: Drachen wie Terminator überraschen, indem sie etwas Unerwartetes tun.

Horvath nennt sich Erfinder und Unternehmer. Als Architekt und Industrial Designer arbeitet er nur noch, wenn Projekte an ihn herangetragen werden, wenn er keine Akquise, keine «Wettbewerbe ins Blaue hinaus» machen muss. Er lebt von seiner Erfindung. «Da ist alles auf die Spitze getrieben», sagt er und meint damit wohl, dass es genauer gar nicht gehe. Er wirkt nicht eingebildet, wenn er das sagt. Vielmehr steht da einer im karierten Hemd, mit Lesebrille auf dem Kopf und Zigarette im Mundwinkel und sagt offen, dass er fasziniert sei von seinem Beruf.

Seit 15 Jahren baut Horvath Drachen (siehe Hochparterre 10 / 07). Er skizzierte, tüftelte, probierte aus und verwarf. Anfang dieses Jahres lancierte er den ‹I’ll be back› aus dem Material, das so kostbar und verwundbar anmutet. Und er baute damit ein Spielzeug, das vor allem eines tut: entschleunigen.

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