07.07.2019, NZZ am Sonntag

Da liegt etwas in der Luft

Eine japanische Firma setzt ätherische Öle ein, um das Image von Marken über den Geruchssinn zu stärken – ein Gestaltungskonzept zwischen Branding und Tradition.

Von Stephanie Rebonati
Bilder: Takumi Ota

Draussen regnet es in Strömen, drinnen füllt sich das Auditorium. Es ist ein Dienstagabend Mitte Februar. Nach einer kurzen Begrüssung betreten Megumi Fukatsu und ihre Übersetzerin die Bühne der Japan Society an der 47. Strasse in Manhattan. Fukatsu, einst Flight-Attendant, dann Aroma­therapeutin, heute Aroma-Space-Designerin, lässt ihren Blick durch den Saal schweifen. Sie schmunzelt – wohl weil die rund 200 Leute vor ihr, alle auf irgendeine Art vom Regen gezeichnet, in ihren Sitzen eifrig an einem dünnen, zirka zwanzig Zentimeter langen Holzstäbchen riechen, das beim Hineingehen verteilt wurde.

In den ersten Minuten des Vortrags über das holistische Konzept Aroma Space Design fehlen dem Publikum noch die Fachbegriffe. Doch rasch spielt sich das japanisch-englische Sprachtandem vor ihm ein, so dass bald klar wird, wonach der Stab riecht: Hinoki. Das ätherische Öl wird durch die Dampfdestillation von Holz, Rinde und Blättern der immergrünen Hinoki-Scheinzypresse gewonnen. In Japan ein bedeutender Baum, ist sie bei uns höchstens im botanischen Garten anzutreffen.

Fukatsu erklärt, dass es sich bei diesem natürlichen Duft um einen traditionell japanischen handelt, der seit Jahrhunderten etwa in Tempeln verwendet werde, weil er sich beruhigend auf die Sinne auswirke. Sie nennt ihn pur, sanft und gehoben. Im Saal sind tiefe Einatmungen zu hören und leise Mmh-Laute, die anhalten, als die Referentin weiter über Kodo, Soradaki, Fumiko und Zuko zu sprechen beginnt. Einige dieser traditionell japanischen Techniken zur Wertschätzung der Düfte werden bereits seit dem 8. Jahrhundert praktiziert.

Auf der Leinwand rechts von Fukatsu tauchen bald Jahreszahlen, bald konzentrische Kreise und Farbtabellen auf. Eine Stunde später, der Stab riecht noch immer erstaunlich frisch, versteht man endlich, worum es bei Aroma Space Design geht: um ein Branding-Konzept, das keinerlei Anstalten macht, dies zu verbergen, und das schlauerweise zwei Praktiken miteinander kombiniert, die aus historischer und kultureller Sicht gut zusammenpassen, schaut man nach Japan: Aromatherapie und Raumgestaltung.

Vor knapp zwanzig Jahren erkannte Fukatsu in einem Aha-Moment, dass diese Verknüpfung Sinn ergibt. Damals liess sie sich zur Aromatherapeutin ausbilden und bemerkte, wie viele Orte im öffentlichen und halböffentlichen Raum auf synthetische Düfte setzten – wenn überhaupt. Selbst in den Bergen Japans aufgewachsen, wusste sie um die Potenz pflanzlicher Wirkstoffe und machte es sich zum Ziel, das Stadtleben, das in Büros, Hotellobbys, Einkaufszentren und Flughafenhallen verbracht wird, der Natur näherzubringen.

Bei Aroma Space Design geht es im Grunde darum, funktionalen Räumen massgeschneiderte, natürliche Duftprofile zu verpassen, die zum Erscheinungsbild einer Marke passen und deren Botschaften transportieren – direkt den Nasengang hinauf ins Gehirn. Dafür sorgen Diffuser, die im Raum installiert werden. Unser Gehirn verknüpft Düfte mit Erinnerungen und den dazuge­hörenden Gefühlen. Riecht es an einem Ort gut, fühlen wir uns wohl. Und handelt es sich bei diesem Ort um eine Boutique, geben wir darin vielleicht mehr Geld aus, handelt es sich um ein Hotel, kehren wir viel eher wieder ein.

«Intuitive sensory branding»
Das Konzept entpuppt sich somit als raffinierter und eleganter Trick, der bewusst mit der olfaktorischen Wahrnehmung spielt, indem er es genau auf den Sinn abgesehen hat, der sich nicht abschalten lässt: Nasen sind im Dauerbetrieb. Der Geruchssinn ist der erste Sinn überhaupt, der sich beim Embryo entwickelt, und nach der Geburt ist es das limbische System im Gehirn, das alle unsere Erfahrungen zusammen mit den begleitenden Gefühlen und Aromen speichert, so dass wir immer und unbewusst auf das reagieren, was wir riechen. Düfte beeinflussen so unsere Stimmung, erzeugen Lust, Sympathie oder Angst und steuern das Sexualverhalten.

Fukatsu, die für die japanische Firma @aroma tätig ist, die auch Ableger in Berlin, Shanghai und in den USA besitzt, weist in einer der letzten Präsentationsfolien auf eine namhafte Kundenliste hin: Lexus, Sony, Volvo, Mercedes-Benz, Hyatt, Lufthansa und ANA. Für die japanische Airline stellte Fukatsu vor zehn Jahren einen aus zehn Aromen bestehenden Duft zusammen, darunter Hinoki und Rosmarin, der seither in Flughafen-Lounges und Büros versprüht wird. Der Duft schlang sich im Verlauf der Jahre derart eng um die Corporate Identity, dass ANA ablehnte, als Fukatsu vorschlug, ihn zu aktualisieren.

Im Lichte dieser Anekdote scheinen herkömmliche Raumgestaltungselemente wie Stil, Möbel, Farben, Typografie und Hintergrundmusik plötzlich arg kurzlebig und oberflächlich. Schliesslich geht es hier um «intuitive sensory branding», wie Fukatsus Übersetzerin irgendwann sagt, was weit über das Sehen und Hören hinausgeht.

Studien zur Wirksamkeit von Aroma Space Design liegen keine vor. Bei @aroma wird aus der Erfahrung geschöpft, und die besteht aus rund 3000 Aufträgen im kommerziellen Bereich. Nach dem Entwurf eines Duftes wird dieser mittels Umfragen im Feld getestet. In den letzten zwanzig Jahren kamen Fukatsu und ihr Team so zur Erkenntnis, dass Unternehmen mit eleganten Einrichtungen generell auf florale Aromen ansprechen, solche mit einem ungezwungenen Erscheinungsbild hingegen auf Zitrus-Essenzen. Ob bei Angestellten im Grossraumbüro oder bei Kundinnen im Showroom für Neuwagen, die Umfragen fallen durchgehend positiv aus. Die Mehrheit der Befragten gibt an, dass die Raumbeduftung das Wohlbefinden steigere. Und genau hier wird es spannend.

Mehr als schlaues Marketing
Denn es wäre zu einfach, Aroma Space Design lediglich als eine schlaue Marketingmassnahme abzutun. Zu bewusst setzt sich das Konzept mit der Wirkung von ätherischen Ölen auseinander, zu engagiert referierte Megumi Fukatsu über die Bedeutung von Duftessenzen in der japanischen Kultur. Aromatherapie ist eine uralte Heilpraktik, die auch im Westen eigenständiger Teil der Phytotherapie ist, der Behandlung mit Heilpflanzen.

Lavendelöl zur Beruhigung des zentralen Nervensystems, Rosenöl zur Linderung von Menstruationsbeschwerden und Produkte aus Sandelholzöl gegen Akne – pflanzliche Alternativmedizin ist ein fester Begriff. Dasselbe gilt für Aromalampen und Duftsteine. Auf Anfrage geben der Schweizerische Verband für Natürliches Heilen, die Paracelsus-Schule Zürich sowie die Schule für Aromatherapie in Belp jedoch an, noch nie etwas von Aroma Space Design gehört zu haben.

Nach dem Vortrag legt sich der heftige Regen, und über die Strassen Manhattans bricht die dunkelblaue Nacht hinein. Auf dem Nachhauseweg, den kleinen Holzstab mit dabei, wundert man sich schon, wie sich ein aromatisch duftendes Grossraumbüro auf die eigene Stimmung auswirken würde oder ob man entspannter durch die Tage ginge, würde es am Postschalter nach Eukalyptus, Ylang-Ylang oder Hinoki riechen – wie im japanischen Tempel seit über tausend Jahren.

Und wie hierzulande etwa in den Alpen. Man denke bloss an den Arvenduft im Arvenstübli, bei vielen ein süsses Gefühl, das Erinnerungen wach werden lässt, die man fast riechen kann. Das ist Schweizer Raumbeduftung par excellence.

DOWNLOAD PDF

Webdesign und Webagentur Zürich