07.01.2019, NZZ Bellevue

Einrichtungen lügen nie!

Die legendäre Designredaktorin Wendy Goodman zeigt in ihrem neusten Buch 75 Homestorys, die sie in den letzten 30 Jahren in aller Welt produziert hat.

Von Stephanie Rebonati

Krimskrams, Infinity-Pools, Tapeten so grün wie Malachit: Für die einen mag «May I Come In?» bloss ein weiteres Einrichtungsbuch sein, doch für einige unter uns ist es ein bisschen mehr. Wendy Goodman, seit Anfang der 1980er Jahre als Designredaktorin unterwegs, verlieh ihrer neusten Publikation eine persönliche Note, die das Ganze zur Hommage an den «letzten grossen Tanz mit dem Magazinjournalismus» macht, wie die New Yorkerin im Vorwort schreibt. Das Resultat ist ein schweres, gebundenes Buch mit grossflächigen Bildern, handbeschrifteten Kodak-Abzügen und Polaroids mit persönlichen Widmungen. Vor allem aber: mit grossartigen Einrichtungen, von denen Goodman pauschal sagt, dass sie «nie lügen». Man erkenne sofort, ob jemand ein Zuhause dekoriere oder belebe, erklärt sie an einer Stelle.

Vor 30 Jahren war vieles anders
Als Wendy Goodman, die Tochter einer Textildesignerin und eines Chirurgen, der in seiner Freizeit im Central Park Aquarelle malte, vor rund 30 Jahren ihre Medienkarriere begann, galt das Gedruckte als Tor zur Welt. Der Magazinjournalismus florierte, das hiess: anständige Gagen, Reisespesen, hohe Auflagen und ein kauffreudiges Publikum. Es gab noch kein Internet, keine sozialen Netzwerke und die exzessive Selbstdarstellung, die damit einhergeht. Damals, inspiriert durch ihre Mentorin, keine Geringere als Diana Vreeland, die einst sagte «Es gibt kaum etwas Aufregenderes als die Chance, Leute ganz privat in ihren eigenen vier Wänden zu erleben», brach Goodman auf, um an den Türen derer zu klopfen, die sie interessierten. Gut möglich, dass sie sich im Titel des Buches ja gar selbst zitiert: «May I Come In?»

Ein buntes Potpourri an Porträts
In den letzten 30 Jahren porträtierte Goodman etwa für «House & Garden», «Harper’s Bazaar» und das «New York Times Magazine »Autorinnen, Künstler, Modeschöpfer und Musikerinnen in aller Welt, die ihr Einlass gewährten. In einer Zeit, in der Privatsphäre eine andere Definition erfuhr als heute, brachte sie Innenwelten nach aussen, die noch niemand gesehen hatte. Doch von Wehmut fehlt in «May I Come In?» jegliche Spur. Vielmehr geht es um die anhaltende Begeisterung für einen Beruf und um die Ausdauer einer Frau, die leidenschaftlich eine Karriere verfolgte und es heute noch immer tut, und zwar zeitgemäss: Wöchentlich erscheinen ihre Designgeschichten nun auf der Website des «New York Magazine», wo sie seit 1997 als Redakteurin arbeitet.

Phantastisch eklektisch
Auf Seite 120 strahlt Tina Turner 1996 im Glitzermini im Infinity-Pool oberhalb von Nizza in die Kamera – hinter der Peter Lindbergh steht. Einige Kapitel weiter vorn spaziert man 1990 mit Bühnenbilder Tony Duquette durch seine Ranch in Malibu, die als «simple Hollywood Regency-style pavilion» beschrieben wird. Was das genau bedeutet, erklären auch die Bilder nicht, aber phantastisch eklektisch ist der Einrichtungsstil dieses Herrn allemal. «Ich bin mir sicher, dass Tony von einem anderen Planeten stammt», schrieb Goodman dazu.

Mal dekadent, mal zeitlos
75 Mal betritt der Betrachter ein Zuhause, mal auf Pantelleria, mal auf Long Island. Immer sind Ära, Ästhetik und Stimmung eine andere, mal haarsträubend dekadent (Gianni Versace), mal zeitlos klassisch (Adelaide de Menil). Was das 296seitige Potpourri zusammenhält, ist Goodmans anekdotenreiche Kontextualisierung. Ihre Texte sind kurz, aber persönlich und erzählen von dem, was liebevoll in Erinnerung geblieben ist. Ganz vorne im Buch gewährt sie Einblick in ihr eigenes Leben, indem sie sagt: «Dank dem unbestechlichen Auge meiner Mutter habe ich gelernt, dass die bezauberndsten Einrichtungen dort entstehen, wo die Dekoration nur das Nebenprodukt eines leidenschaftlich gelebten Lebens ist»

Atelierbesuch
1984 lud Modeschöpferin Pauline Trigère die junge Wendy zum Mittagessen ein. Die beiden speisten im schicken «La Grenouille» in Manhattan, das heute noch existiert. Im oberen Stock entdeckte Goodman so einen privaten Speisesaal, der einst als Zuhause für den französischen Maler Bernard Lamotte fungiert hatte und wo Persönlichkeiten wie Marlene Dietrich und Antoine de Saint-Exupéry ein und aus gegangen waren. Goodman entdeckte mehr. Eine kleine Treppe führte vom Speisesaal in ein kleines Atelier, gefüllt mit Staffeleien und Gemälden. Hier gab Lamotte dem Wirten von «La Grenouille» jeweils Malstunden. Goodman beschreibt die Entdeckung dieses verborgenen Schatzes als prägendes Moment: «Something had shifted in me, something that was to change my career, and my life, forever.» Bild: Corinne Botz/Courtesy Benrubi Gallery

True Love
Isabel und Ruben Toledo, eine Modedesignerin und ein Künstler, wuchsen beide auf Kuba auf und verliessen ihre Heimat im Zuge der Revolution. Als Teenager in New Jersey lernten sie sich an der High-School kennen. Später wurden sie zum Liebespaar ­­– und dann zum Power-Paar. In einem klassizistischen, tempelartigen Bau, der in Midtown Manhattan auf einem Industriegebäude hockt, planen und entwerfen sie: etwa Mäntel für Michelle Obama, Kollaborationen mit Louis Vuitton und Keramik für den italienischen Fliesenhersteller Ceramica Bardelli. Wendy Goodman porträtierte das Paar erstmals in 1992, dann 2015 erneut, wohl weil sie angetan ist von dieser true love story. Bild: Wendy Goodman

Mit Schweizer Detail
Man übersieht sie glatt, wird man nicht auf sie aufmerksam gemacht: die Spiegelei-Skulptur auf dem Esstisch des Galeristen Vito Schnabel, des Sohns von Künstler/Regisseur/Designer Julian Schnabel. Das Spiegelei stammt vom Schweizer Künstler Urs Fischer, der 2015 mit seiner Einzelausstellung «Bruno & Yoyo» Vito Schnabels Galerie in St. Moritz eingeweiht hatte. Natürlich gibt’s eine Menge mehr an Kunst zu entdecken im venezianischen Palazzo der Schnabels inmitten von Manhattan – doch Wendy Goodman stach etwas anderes ins Auge: die Essstühle. Gefertigt aus Gips und Edelstahl und bezogen mit rubinrotem Samt, ähneln sie kleinen Thronen. Bild: Stephen Kent Johnson

Nicht ohne Kompromiss
Als «Interview Magazine»-Chefredaktor Nick Haramis und Künstler Misha Kahn aufbrachen, um in New York City ein gemeinsames Zuhause zu finden, gab’s Krach. Haramis wollte weiterhin dem Modernismus huldigen, sprich schlichten Formen, Glas, schwarzem Leder. Doch Kahn hatte andere Pläne ­– und die waren nicht nur bunt. So einigte sich das Paar auf einen Kompromiss: Haramis wählt den Ort, Kahn richtet ein. Das Resultat ist eine comicartig dekorierte Wohnung (der Esstisch beispielsweise besteht aus Gummi und wurde in der Form Norwegens zugeschnitten) in Greenpoint, dem traditionell polnischen Viertel Brooklyns. Bild: Annie Schlechter

Wie im Wunderland
Bei Kathy Ruttenberg in Upstate New York leben die Tiere so gut wie die Künstlerin selbst. Tagsüber teilen sich die Hausschweine und die Hausherrin die Scheune, die als Atelier und Stall dient, abends schlafen alle in kuscheligen Betten. Wendy Goodman schrieb darüber: «Die Schweine haben so viele Decken, dass sie sich auf Wolken wähnen müssen.» Das Landhaus ist zudem mit einem Raum ausschliesslich für Vögel ausgestattet, und wenn es den Hasen danach ist, können diese ungeniert durch das Schlafzimmer Ruttenbergs hopsen – und auf dem Bett ein Nickerchen machen. Es überrascht daher kaum, dass die Skulpturen der Bildhauerin Wesen darstellen, die irgendwo im Raum zwischen Mensch und Tier ihren Ausdruck finden. Bild: Thomas Loof

Eine für auf die Bühne
Alba Clemente, italienische Theaterschauspielerin und Kostümbildnerin, mag dramatische Settings. Mitunter deshalb wandelte sie ihren mehr als begehbaren Kleiderschrank in eine Bühne um. Das Ganze ist ein Raum im Raum, sorgfältig geplant von Stararchitekt Richard Gluckman. Aussen ein weisser Kubus ohne Decke, innen ein geschichtsträchtiges Archiv: Die Kleider, die Clemente hier lagert, sind nämlich nicht gerade alltagstauglich, sondern stammen aus den glamourösen 1980s und 1990s, in denen Clemente als Stilikone das New Yorker Nachtleben aufgewirbelt hatte. Es finden sich Cocktailkleider und Accessoires von Azzedine Alaïa, Moschino und Jean-Paul Gaultier darunter, und wenn die Schranktüren geschlossen sind, blickt die Schauspielerin dank einer grossflächigen Fotografie in ein Meer von Zuschauern. Bild: Jason Schmidt

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