21.12.2017, NZZ Bellevue

Hausbesichtigungen der eleganten Art

Während 38 Jahren porträtierte das «Home»-Ressort der «New York Times» aussergewöhnliche Wohnungen und Häuser. Im soeben erschienen Bildband «Home: The Way We Live Now» werden die schönsten Geschichten aus der Sammlung vorgestellt. 

Von Stephanie Rebonati

Makabre Märchenwelt
Die Zwillinge Tracy und Tonya Hurley verbindet die Liebe zum Makabren. Vielleicht, weil ihre Grossmutter sie jeden Sonntag an Beerdigungen mitnahm. Oder weil Tracy Geschäftsführerin des Morbid Anatomy Museum in Brooklyn ist – Tonya ist übrigens die Autorin von Ghostgirl, einer gefeierten Jugendbuchreihe in den USA. Ihr gemeinsames Projekt, das der makabren Ästhetik huldigt, ist die Einrichtung eines Brownstone-Stadthauses aus dem späten 19. Jahrhundert, in dem Tracy mit ihrem Ehemann Vince Clarke lebt, dem Gründer von Depeche Mode. Die Schwestern statteten es mit französischen Kronleuchtern, botanischen Kupferstichen, antiken Liegen, Trauerkränzen und handbemalten Seidentapeten aus. Das Resultat ist die romantische Version einer makabren Märchenwelt. (Bild: Bruce Buck)

Into the Blue
Nach der Scheidung war für Enid Woodward klar: Sie wollte sich ein Refugium kreieren und es musste blau sein – gemäss den Scheidungspapieren standen ihr dafür 55 Quadratmeter an der Upper East Side zur Verfügung. Sie wählte die Farbe Blue Celeste und ging nicht sparsam damit um. Sie richtete die Einzimmerwohnung wie ein Segelboot ein, in dem es um jeden Zentimeter geht. Vor allem die Küche ist eine Meisterleistung, weil sie gerade einmal 1.8m mal 2m misst. Kühlschrank und Geschirrspüler liess die Physiotherapeutin hinter einer massgeschneiderten Wandbekleidung verschwinden – und wählte dafür wiederum eine Primärfarbe. Das Rezept für ihren gemütlichen Zufluchtsort: warmes Rot und beruhigendes Blau. (Bild: Trevor Tondro)

Kuriositätenkabinett
Der Südstaatler Butch Anthony bastelt seit 1988 an seiner Blockhütte rum. Er trägt ausschliesslich Denim-Overalls (er besitzt deren 25) und Strohhüte (davon hat er 10). Als er sein Studium in Zoologie abbrach, arbeite er fortan als Künstler – nicht mit Pinsel und Leinwand, sondern mit Kuhknochen und Holzstecken. In seiner Freizeit häutet er Schlangen, jagt Waschbären und Alligatoren. Und jeweils Freitagabends bekochen er und sein Vater Gäste in einer nahgelegenen Scheune, die kommen, um die vielen Kuriositäten zu ersteigern, die Butch sammelt und bastelt. Dass er sein Schlafzimmer so schlicht und schnörkellos gestaltete, verblüfft. Selbst ein schräger Vogel wie er braucht wohl eine Timeout-Zone im Kuriositätenkabinett. (Bild: Robert Rausch)

Ein Chateau für die Famiglia
1999 wollten Giuseppe und Giacomina Laviani ein Haus an der Riviera kaufen. Zu teuer, lautete ihr Verdikt, weshalb ein Freund sie ins Loire-Tal lockte, wo ein Chateau brachlag. Sie flickten die eingestürzten Türme, legten elektrische Leitungen, installierten eine Heizung. Sohn Ferruccio, ein Mailänder Architekt, leitete das Projekt, doch es waren die vier Generationen dieser Famiglia, die gemeinsam nach speziellen Objekten suchten, um die Räume vertraut zu gestalten. Heute hat jeder sein Lieblingszimmer: Nonna näht am liebsten auf der violetten Samtcouch, Nonno döst gerne in der Chaiselongue. Die Eingangshalle mutet zwar majestätisch an, doch die Gipsbüste scheint augenzwinkernd zu sagen: «Benvenuti!» (Bild: Andrea Wyner)

Kontrastprogramm
Die Innenarchitekten Eliot und Alexandra Angel aus Los Angeles reisten 2006 an die US-Ostküste, um ein geeignetes Ferienhaus zu finden – und landeten schliesslich auf der kanadischen Kap-Breton-Insel im Nordatlantik. Hier war alles anders als daheim. Unerbittliche Winde, starke Regenfälle, doch sie verliebten sich in den Kontrast, in die malerische Weite. Die Natur diente ihnen als Farbpalette, sodass heute zehn verschiedene Blau-, Grau- und Grüntöne im Hausinnern das Äussere reflektieren, das durch die grossen Fensterfronten eindringt. Das Paar arbeitet stetig am Haus, nimmt sich aber bewusst Zeit, schliesslich ist dies ihr Kontrastprogramm und nicht LA, wo Deadlines und Auftraggeber ihren Alltag bestimmen. (Bild: Tony Cenicola)

Oase im Betondschungel
Im New Yorker Immobiliengeschäft braucht es Geduld, Nerven und pures Glück, das eines Tages aus heiterem Himmel auf einen niederprasselt. George Fares hatte in den frühen 1990er-Jahren genau das. Er reichte ein Kaufgesuch für ein Townhouse in Chelsea ein und verlor. Ein Jahr später war es wieder auf dem Markt und er kriegte es. Dann lebte er ein ganzes Jahr im Haus, um es kennenzulernen, bevor er (sieben Jahre lang!) renovierte. Langsam hob er die ursprünglichen Details hervor: grandiose Stuckaturen, Feuerstellen aus Marmor, Originalböden. Heute ist er der glückliche Besitzer einer Oase inmitten des unbezahlbaren Chelsea-Quartiers. (Bild: Bruce Buck)

Eispalast
Steigt man in Jackson Hole, Wyoming, aus dem Flugzeug, sieht man Berge. Überall. Das Gebirge im Westen heisst Teton, jenes im Osten Gros Ventre. Clay Heighten, Hausarzt, und seine Frau Debra Caudy, Onkologin, spürten sofort: hier wollten sie fortan die Wintermonate verbringen. Ein befreundeter Architekt entwarf einen Palast mit viel Sichtbeton, Holz, klaren Linien und null Schnörkel. Die einzige Vorgabe, die das Paar aus Dallas gab: Aussenraum, so richtig. Der Architekt nahm es wörtlich und gestaltete den Eingang nicht als funktionales Foyer, sondern als Outdoor-Wohnzimmer inklusive Sofas, Feuerstelle, Lampe – und Schnee, so richtig. (Bild: Trevor Tondro)

Spielraum für die Boys
Mike D von den Beastie Boys lebte sein ganzes Leben in Manhattan – bis er Vater wurde. Zusammen mit seiner Frau, der Filmemacherin Tamra Davis, zog er nach Brooklyn, damit ihre Söhne von der Schule nach Hause laufen und draussen spielen konnten. Das Paar, das zuvor in einem Loft gelebt hatte, musste sich ans Stadthaus von 1852 gewöhnen. Während der Renovation kam originales Gebälk hervor und auch der Garten, der nun plötzlich zur Verfügung stand, war eine Überraschung (Mike D kaufte sofort einen Grill!). Über dem Familienesstisch hängt eine Leuchte, über die beide sagen, es sei das schönste Objekt, das sie jemals gesehen hätten: ein zartes Geäst aus Kristall-Blüten. So schön, dass es gar das Cover dieses Buches ziert. (Bild: Trevor Tondro)

Mini-Wolkenkratzer
1969 waren die Frischvermählten Phil und Lucy Suarez an eine Party auf Fire Island eingeladen, wo New Yorker Bonvivants und Bohemiens heute noch barfuss an Cocktails nippen. 1971 besassen sie dort ihr eigenes Beach House, in dem sie 40 Jahre lang feierten und die Sommerwochenenden verbrachten. 2011 brannte es nieder. Ihr guter Freund, der renommierte Architekt Richard Meier, entwarf daraufhin ein kompaktes, zweigeschossiges Gebäude auf Stelzen, das wie ein Wolkenkratzer funktioniert: Glas, Stahl, wetterfest. So überlebte ihr «mini skyscraper» 2012 Hurrikan Sandy – und wohl so manches wildes Fest seither. (Bild: Trevor Tondro)

Buch: Noel Millea, «Home: They Way We Live Now», Rizzoli

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