03.02.2020, NZZ Bellevue

Kobralilien, Pfingstrosen und Grosse Blut-Helmling-Pilze aus Papier

Mit «Uncommon Paper Flowers» legt die amerikanische Papierkünstlerin Kate Alarcón ein stilvolles DIY-Buch vor, das nicht nur minutiöse Anleitungen, sondern vor allem botanisches Wissen vermittelt.

Von Stephanie Rebonati

Der Grosse Blut-Helmling ist ein ungeniessbarer Pilz, der im Englischen «blood-foot mushroom» oder «bleeding fairy helmet» heisst und in Form kleiner Büschel auf toten Ästen und Stämmen wächst. Seine purpurbräunlichen Hüte messen zwischen einem und drei Zentimeter und verleihen den kleinen Clustern ein kokettes Erscheinungsbild. Das Blut in der Namensgebung bezieht sich auf die rote Flüssigkeit, die der Fruchtkörper bei Verletzungen ausscheidet.

Es sind Informationen wie diese, botanische, etymologische und medizinische, die die amerikanische Papierkünstlerin Kate Alarcón in den ersten vierzig Seiten ihres Buches vermittelt. So huldigt sie der Flora, ihrer grössten Inspiration. Und noch etwas lernt man zu schätzen in diesem Abschnitt: das Styling, das dem Fotografieren voranging. Die fein arrangierten Landschaften entzücken, weil sie selbst kleine Kunstwerke sind. Feinfühlig kombiniert wurden Textilien, Kristalle, Muscheln und sonstiger Kleinkram wie etwa Murmeln und Quasten.

Ist der Selbstversuch gelungen?
Aber darum geht es in diesem Buch überhaupt nicht: es geht um Papierblumen zum Selbermachen. Eine nette Idee, denkt man zunächst, und dann, ziemlich rasch, stellt sich das Ganze als eine äusserst mühsame Angelegenheit heraus. Oder andersrum: Kate Alarcón, die in Seattle lebt, Mutter eines Kleinkindes und als freischaffende Künstlerin Workshops gibt, Papierblumen und Tutorials verkauft, muss ein geduldiger Mensch sein.

Bei unserem Selbstversuch – das Ziel war eine Grosse Blut-Helmling-Pilzfamilie auf Moss – meldete sich der Frust bereits bei der Materialbeschaffung (unterschiedlich dickes Krepppapier in Koralle, auberginefarbenes Blumenklebeband und so weiter). Auch der Lösungsansatz scheiterte: nicht kopieren, sondern interpretieren, genau wie es bei Kochrezepten glücken kann. Auch das half nicht.

Designinspiration und botanisches Nachschlagewerk
Stattdessen blätterten wir durch die Landschaften, in denen sich die Malven, Anthurien und Mohnblumen aus Papier einnisten und lauschten einer Podcast-Episode auf The Paper Florists, in der Kate Alarcón von ihrem Kunsthandwerk und Lebensentwurf erzählt.

Sie wird überraschend ehrlich: «Manchmal vermittelt mir Instagram das Gefühl, dass die anderen besser sind als ich und dass alle meine Ideen bereits umgesetzt wurden und meine Arbeit keinen Platz verdient». Wir finden: ein visuell anregendes Buch, das DIY-Anleitung, Designinspiration und botanisches Nachschlagewerk in einem ist, eine gelungene Sache, trotz gescheitertem Selbstversuch.

Ein van Gogh-inspiriertes Fingerhut-Stillleben aus Papier
Unnützes Wissen hat es schliesslich in sich: Wer wusste schon, dass Fingerhut im 19. Jahrhundert zur Behandlung von Magenbeschwerden und Geisteskrankheiten eingesetzt wurde und Xanthopsie eine der Nebenwirkungen war (eine Störung des Sehvermögens, bei der alle Gegenstände gelblich erscheinen).

Medizinische Historiographen hätten deshalb die Vermutung aufgestellt, dass die vielfältige Gelbpalette Vincent van Goghs eine Folge dieses Gelbsehens sein könnte. Wer sich dieser These so richtig hingeben möchte, kann ein (frei erfundenes) van Gogh-inspiriertes Fingerhut-Stillleben aus Papier herstellen. Eine geeignete Anleitung dazu gibt’s auf Seite 103, das dazugehörige Schnittmuster auf Seite 222.

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