06.03.2020, Powernewz

Im Überblick: Schweizer Co-Working-Spaces

Der Lebensstil, der alle um denselben Tisch versammelt: Freiberuflerinnen, Banken, Versicherungen, die Kirche, Milliardäre, Genossenschaften, Immobilienbesitzerinnen, Hotels und die öffentliche Hand – und wie es überhaupt dazukam, dass das Büro auf Abruf durchs Land zieht.

Von Stephanie Rebonati

Co-Working ist mehr als ein geteiltes Büro. Co-Working ist ortsunabhängiges, flexibles Arbeiten und angesagter denn je. Ein globaler Trend, den man Lebensstil nennen möchte. Laut shareDnC, in Deutschland eine führende Plattform für die Vermittlung von flexiblen Büros, existierten 2007 weltweit gerade mal 14 Co-Working-Spaces, 2016 waren es 11’000 und für 2020 wurden mehr als 26’000 vorhergesagt.

Ein Blick in die Schweizer Mediendatenbank bestätigt, dass auch hierzulande das Thema in aller Munde ist. Was bei der Lektüre besonders auffällt, ist die Vielfalt der Akteure, die im hiesigen Co-Working-Geschäft aktiv ist: Genossenschaften, Banken, Start-ups, Milliardäre, ja sogar die reformierte Landeskirche Zürich und die grösste private Immobilienbesitzerin im Land, die Swiss Life. Laut der Hotelrevue zieht im benachbarten Ausland gar die Hotellerie mit, was in Zermatt und Luzern ebenfalls zu beobachten ist, auch wenn in viel kleinerem Stil. Fakt ist, dass sich ein Bedürfnis bemerkbar gemacht hat und auf dieses nun reagiert wird.

Eine Multioptionsgesellschaft aus lauter Co-Worker
Durch den Wandel von einer Industriegesellschaft zu einer Multioptionsgesellschaft haben sich Arbeitsmarkt und Lebensentwurf drastisch verändert. Wir sind flexibel, mobil, international und digital. Der einst weitgehend lineare Lebenslauf wird zunehmend non-linear. Es ist nicht ungewöhnlich, mehrere Arbeitgeber zu haben, projektbasiert oder Teilzeit zu arbeiten – und genau hier setzen Co-Working-Anbieter an, jene also, die Büros auf Abruf zur Verfügung stellen. Das hält die Fixkosten tief und die Beweglichkeit hoch. Das bildet «Community» und verspricht «Networking».

Co-Working-Spaces gibt es in der Stadt und auf dem Land. Sie sind ausgestattet mit Büromöbeln und High-Speed-Internet, mit Kaffeemaschinen, manchmal sogar einem Concierge, Billardtisch und einer Bar, mit Einzeltischen für konzentriertes Arbeiten und langen Tischen für Gruppenarbeit, mit Chatboxen zum Telefonieren, mit abgetrennten Sitzungszimmern und so weiter. Genutzt wird der tages-, wochen- oder monatsweise gemietete Arbeitsplatz von Freelancern und Firmen. Was Co-Working-Spaces nicht sind: Ateliergemeinschaften, wo sich freischaffende Menschen, meistens Kunst- und Kulturschaffende, fest einmieten, um Infrastruktur zu teilen.

«The new normal»: 185 Co-Working-Spaces in der Schweiz
In der Theorie liest man seit über einem Jahrzehnt über jene, die heute im Co-Working-Space anzutreffen sind. Sie zeichnen sich durch eine «situationsabhängige Lebensführung» aus, was ihre «patchwork identity» erklärt. Sie sind «Diversity-Liebhaber» und «global mobiles», Letzteres vor allem. Bereits 2010 bezeichnete die deutsche Ethnologin und Autorin Sanna Schondelmayer Mobilität als die «zentrale zeitgenössische Leitvokabel», was heute gültiger denn je erscheint. Laut der aktuellsten Ausgabe des Global Workspace Survey ist flexibles Arbeiten «the new normal» für die Generation Flex.

Doch wie es überhaupt dazu kam, dass wir die Feldarbeit einst hinter uns liessen, um uns stattdessen in «eine gigantische Ansammlung von identischen Räumen» zu begeben, um uns «mit identischen Tätigkeiten zu beschäftigen», das erklärte Michael Hugentobler, Reporter bei Das Magazin, 2014 im äusserst lesenswerten Artikel «Der Ort, der uns zu Zombies macht» (Heft-Nr. 45). Er schrieb über die ersten Büromenschen, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts bemerkbar machten, über die ersten Management-Gurus, den Einzug der Frauen ins Büro, die Erfindung von Hängedecke und Klimaanlage und einen kalifornischen Visionär, der sich in den 1980er-Jahren vorstellte, dass «niemand einen eigenen Tisch hat und alles im Fluss ist».

Dieser Ansatz scheiterte zwar, führte uns aber schlussendlich hierher, wo wir uns nun befinden: im Zeitalter von Co-Working. Laut dem «Shared Office Monitor 2019» sind es gegenwärtig 185 Co-Working-Spaces und 12’000 Co-Worker in der Schweiz. Daniel Hediger, Berater bei immodea und Herausgeber des Berichts, sagte im Januar dieses Jahres dem Migros-Magazin, dass sich die Zahlen innert drei Jahren auf 300 bzw. 22’000 erhöhen werden.

Wo sich die Schweizer Büros auf Abruf befinden – eine Auswahl:

Auf dem Land und über der Nebelgrenze: Lokalgewerbe beleben
Nahe am Wohnort arbeiten, Lokalgewerbe beleben, Pendeln und CO2-Ausstoss reduzieren, dafür setzt sich die VillageOffice Genossenschaft ein, die Co-Working in ein Netzwerk aus lokalen Dienstleistern einbettet: der ehemalige SBB-Bahnhof in Eglisau ist ein Beispiel dafür. 6280.ch in Hochdorf, miaEngiadina in Scuol und die Bridge auf dem Crap Sogn Gion in Laax sind weitere Anbieter abseits der Grossstädte. Das kürzlich eröffnete Hotel Mama in Zermatt spannt mit dem Walliser Co-Working-Start-up Pura Worka zusammen, um 20 flexible Arbeitsplätze anzubieten. Pura Worka betreibt in Verbier und auf Indonesien ähnliche Co-Konzepte.

Inmitten der Stadt daheim: Krippe, Ästhetik und Kreativwirtschaft inklusive
Ob Westhive, Citizen Space, Headsquarter, Office Lab oder Flex Office – urbane Co-Working-Orte setzen auf Ästhetik: Pflanzen, Holzstühle und grossformatige Fotografien, hier werden Büro und Wohnzimmer eins. Ebenso ergeht es den vielen verschiedenen Räumlichkeiten (siehe Bilder), die im Kraftwerk Selnau, im Colab am Sihlquai und Viadukt gebucht werden können, übrigens alle partnerschaftlich getragen von Impact Hub Zürich, digitalswitzerland, Engagement Migros und ewz. Die öffentliche Hand unterstützt auch Anbieter wie CreativeSpace mit Standorten in Zürich und St.Gallen, um die Schweizer Kreativwirtschaft zu fördern.

In den Co-Working-Spaces WeSpace (im ehemaligen Franz Carl Weber-Gebäude, das der Swiss Life gehört) und Birdhaus (im Hürlimann Areal) ist die Mitgliedschaft Frauen vorbehalten. Das Blau10 hinter dem Grossmünster ist der Co-Working-Space der reformierten Landeskirche Zürich, eingerichtet mit Sukkulenten und stilvoller Tapete. Weil Genossenschaft kreativer klingt als Versicherungskonzern, betreibt VillageOffice im Auftrag der Swiss Life die Coworking Lounge Tessinerplatz in der Enge. Das im Oktober 2019 eröffnete Tadah in Albisrieden ist der erste Deutschschweizer Co-Working-Space mit integrierter Kinderkrippe. Gegründet von Müttern für Eltern, geht es hier um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Wie die Grossen mitmischen: «ein Geschenk an die Bevölkerung»
Was für die einen ein Lebensentwurf ist, ist für die anderen ein Geschäft. Im November wurde bekannt, dass die Gruppe des brasilianischen Multimilliardärs Joseph Safra, die 2013 die Basler Privatbank Sarasin übernahm, das Schweizer Geschäft von IWG kauft, für 120 Millionen Franken. IWG ist ein britischer Co-Workspace-Spezialist, dessen Schweizer Tochtergesellschaften Regus und Spaces rund 40 Co-Working-Orte betreiben (das Ziel laut Geschäftsführer Garry Gürtler: 100 Spaces bis 2025). Am Zürcher Bahnhofplatz soll die erste Schweizer No18 Business-Lounge entstehen, IWGs Luxusversion von Co-Working; Stockholm und Atlanta sind bereits in Betrieb. Im Oktober eröffnete die Credit Suisse im Glattpark ihre erste Spoom-Filiale, die ihre Räume über eine App vermietet. Büro Züri mit Standorten im Kreis 1 und in Dübendorf ist kostenloses Co-Working und «ein Geschenk der Zürcher Kantonalbank an die Bevölkerung des Kantons».

Co-Working im Hotel: «Tummelplatz für digitale Nomaden»
Die französische Hotelgruppe Accor arbeitet mit dem Co-Working-Spezialisten Wojo zusammen, um in den öffentlichen Hotelbereichen «offene Spots» und «geschlossene Corner» einzurichten; bis 2022 sind europaweit 1’200 flexible Arbeitsplätze geplant. Jene der Münchner Gruppe Ruby Hotels befinden sich zehn Minuten von den Hotels entfernt, sind mit Designermöbel und Co-Cooking ausgestattet. Das Capsule Hotel in Luzern bewirbt seinen «Coworking und Innovations-Space» als den «idealen Tummelplatz für digitale Nomaden».

Stichwort der Stunde: «Weiterdenken»
Der Wandel traditioneller Arbeitsformen, Geschäftsmodelle und Lebensstrukturen bringt auch Herausforderungen mit sich. Etwa in Sachen Arbeitnehmerschutz, denn dieser ist vor allem für ein Szenario entworfen: bei einer Arbeitgeberin in vollem Pensum beschäftigt sein. Flexibel, mobil, international und digital sieht anders aus, auch wenn nicht immer rosig: Freiberufler hoffen nicht selten auf einen Minimallohn und verzichten fast immer auf bezahlten Urlaub.

Der Kaufmännische Verband Zürich formulierte im April 2018 an der Tagung «Smart durch die Arbeitswelt 4.0» aufgrund all dieser miteinander verknüpften Entwicklungen «das Stichwort der Stunde», nämlich «Weiterdenken». Fast zwei Jahre später gilt der Begriff noch immer und vielleicht insbesondere für Firmen, die nun ganze Teams ins Co-Working ausquartieren. Ohne auf konkrete Beispiele einzugehen, warnte Dieter Bloch vom Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung in Zürich Ende 2019 im Tages-Anzeiger, dass Firmen, die Co-Working nur aufgrund von Kosteneinsparungen nutzen würden, dem Bedürfnis der Angestellten nach Rückzug und Konzentration nicht gerecht würden. Schliesslich mögen viele den festen Arbeitsplatz.

Dass beides geht, zeigen Firmen, die ihren Angestellten mit Co-Working zusätzliche Optionen bieten: etwa die AMAG im Westhive. Philipp Wetzel, Leiter Innovation und Venture Lab bei der AMAG, sagte im November in der SRF-Sendung Eco, dass die Arbeit im Co-Working-Space «pragmatischer, schneller, direkter» sei als im herkömmlichen Büro. Auch die Bâloise, Postfinance, die Krankenkasse KPT und ewz verfolgen ähnliche Strategien: Man muss nicht, man darf in den Co-Working-Space.

Co-Working: «mega nice» und «easy accessible»
Beim Blick in die Schweizer Mediendatenbank fällt übrigens nebst der Vielfalt der Akteure ein weiterer Aspekt auf. Nämlich die angelsächsische Terminologie: desks, members, meeting rooms, shared spaces und community spirit – um nur einige Beispiele zu nennen. Das bietet zwar gute Unterhaltung, interessiert man sich für Sprachen, drängt aber auch die Frage auf: Wie kann es sein, dass eine Region, die sich gerne antiamerikanisch gibt, sich geradezu hinwirft, diesem süffigen Vokabular? Der deutsche Wortschatz hinkt hier keineswegs hinterher: Arbeitstisch, Mitgliederinnen, Sitzungszimmer, gemeinsam genutzte Räumlichkeiten und Gemeinschaftsgefühl.

Für jene also, die in Sachen Sprache weiterdenken möchten, hält Christian Kriele, Terminologe und Dozent am Departement für Angewandte Linguistik an der ZHAW in Winterthur, drei Anhaltspunkte bereit: «Als erstes gilt es zu prüfen, welche der Anglizismen in diesem Fachgebiet im deutschen Sprachgebrauch schon fest etabliert sind. Es ergibt wenig Sinn, sich gegen solche Ausdrücke zu wehren.» Co-Working-Space und Community scheinen fest verankert zu sein. Kriele: «Anglizismen, die noch nicht etabliert sind und für die ein passendes deutsches Äquivalent existiert, könnten durch ein solches ersetzt werden.» Pult anstatt desks? «Genau. Ein wichtiger Punkt ist auch, welches Zielpublikum ich mit einem Text erreichen möchte. Wenn dieses einer älteren Generation angehört, sollten in strittigen Fällen Anglizismen eher vermieden werden.»

Alles klar. Gespannt beobachtet man also weiterhin die Entwicklung von Co-Working-Spaces, die gemäss Medienberichten wie «Pilze aus dem Boden schiessen» und laut zitierten Nutzern «mega nice» und «easy accessible» sind.

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