17.06.2018, Sonntagsblick Magazin

Als Göttin wiedergeboren

Als 18-Jährige überlebte Frida Kahlo einen Horrorunfall. Seit gestern zeigt eine Ausstellung in London, wie die mexikanische Malerin trotz Schmerzen und Prothesen zur Ikone wurde.

Von Stephanie Rebonati

Am 17. September 1925 rammte in Mexico City eine Strassenbahn einen Bus, in dem eine junge Frau sass. Eine Eisenstange durchbohrte dabei ihren Körper. Wirbelsäule, Schlüsselbeine, Rippen und Becken brachen. Das rechte Bein erlitt elf Frakturen. So lag sie da, in ihren zerrissenen Kleidern und ihrem eigenen Blut, als Gold vom Himmel fiel.

Denselben Bus hatte ein Kunsthandwerker genommen, der Goldstaub bei sich trug. Beim Aufprall zerbarst der Sack, sodass sich sein Inhalt auf den gepeinigten Leib des Mädchens legte. Ein schier unerträgliches Bild, und eines, das an Symbolik zu ersticken droht. Im Kunsthandwerk des Mittelalters wurde Goldblatt dazu eingesetzt, um die Nähe zu Gott darzustellen.

Vielleicht wurde die junge Frau in diesem sakralen Moment zwischen Leben und Tod neu geboren. Gesegnet wurde sie ganz gewiss, und zwar mit einer unbändigen Lebenskraft. Magdalena Carmen Frieda Kahlo y Calderón überlebte den Horrorunfall und wurde zu einer der bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts.

Herrin des verkrüppelten Körpers
Die Welt kennt sie als Frida Kahlo. Als emanzipierte und selbstbewusste Frau mit markanten Augenbrauen und einem Nimbus aus Blumen. Als Malerin, die sich dem Selbstbildnis verpflichtete, wohl um Herrin des verkrüppelten Körpers und nicht dessen Untertanin zu sein. Sie machte Schmerz und Behinderung zum Thema ihrer Kunst, stellte durch Garderobe und Schmuck ihre indigenen Wurzeln sowie ihre politische Haltung zur Schau. Frida Kahlo umgab bereits zu Lebzeiten eine märtyrerhafte Aura, die bis ins Hier und Jetzt strahlt.

Im Victoria & Albert Museum in London ist seit gestern eine Ausstellung zu sehen, die von diesem gezerrten und gleichzeitig leidenschaftlich gelebten Leben erzählt. Frida Kahlo choreografierte ihren eigenen Körper, indem sie ihn schmückte – mit bunten und verzierten Textilien in der Tradition der mexikanischen Bäuerin, mit Maschen, Zöpfen, Ohrringen, Ketten und Armreifen. Ihre orthopädischen Korsagen versah sie zudem mit religiösen und kommunistischen Symbolen sowie mit Sujets, die von ihren vielen Fehlgeburten erzählen.

Mit dem Einsatz von Mode und Handwerkskunst verbarg sie nicht nur die für immer ausgerenkte Schulter, den zerschmetterten Fuss und die Beinprothese, sondern auch die unzähligen Stunden, während denen sie an ihr Bett gebunden und teils in einem Ganzkörpergips gefangen war. Es war in dieser schrecklich immobilen Stellung, als sie mit der Malerei begann.

Eine inhaltlich hoch geladene Malerei, welche die Mexikanerin zur lateinamerikanischen Wortführerin, zur weiblichen Ikone und feministischen Vorreiterin machen würde. Kahlo ist aktueller denn je, denn ihr Vermächtnis stärkt die Frau von heute in ihrem Selbstverständnis und befähigt sie dazu, ganz sie selbst zu sein.

Am 13. Juli 1954 starb Frida Kahlo im Alter von 47 Jahren an einer Lungenembolie. An jenem Tag fiel zwar kein Goldstaub vom Himmel, doch gesegnet wurde sie erneut: mit der Unsterblichkeit.

Ausstellung «Frida Kahlo: Making Her Self Up», 16. Juni bis 4. November, Victoria & Albert Museum, London. Das gleichnamige Buch erscheint Mitte Juni, 256 Seiten, nur in Englisch.

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