16.03.2014, Sonntagszeitung

Ein Sixpack für die Girls

Junge Männer wollen ihren Körper stählen – doch oft geschieht das mit unerlaubten Mitteln 

Von Stephanie Rebonati
Fotos: Esther Michel

Sie hören Testo-Sound und pumpen Muskeln für die Ladys. «Nutte, putz die Felgen, misch das Heck klar und koch. Beta-Menschen knien nieder vor dem Imperator. Bitch, ich bang dich hardcore, Alpha-DNA», heisst es in einem dieser Raps aus Deutschland, die «Testo-Flow» versprechen, das Fliessen des Testosterons während des Muskeltrainings für Bizeps, Trizeps, Sixpack.

«Die Ladys wollen, was gut ist», sagt der 18-jährige Emanuel, leuchtend rot-gelbe Sneakers, Sonnenbrille, Lederjacke. Er ist mit seinem Kumpel Carlos unterwegs, sie shoppen in der Zürcher Europaallee. Emanuel, gelernter Strassenbauer, trainiert dreimal täglich, kurze Sets von Liegestützen, Rumpfbeugen und Klimmzügen. Das macht er, seit er 13 ist, seit ihn die Frauen interessieren. «Nur die Ausdauer fehlt ihm», neckt ihn sein Kollege Carlos, 21. Emanuel geht nicht ins Fitnessstudio, das bringe nichts, findet er. Er pumpt daheim. Im Fitness seien die Geräte ständig besetzt, man müsse lange warten, und «die Posers machen viel Lärm».

Die Posers, das sind die Aufgepumpten, die Arnold Schwarzeneggers der Studios. Posers hören Testo-Rap. «Posers haben Zuckungen, machen den Rücken kaputt und sind verdammt aggressiv», sagt Carlos, der im Studio trainiert. Posers nennen sich selber «Cuts», sind kantige Verschnitte, konsumieren Anabolika, Testosteron, illegal importierte Muskelaufbaupräparate. Emanuel und Carlos machen sich darüber lustig, sagen, dass Substanzen nichts brächten, «weil die Muskelmasse dann nur heisse Luft ist».

Die Eltern zahlen nur, wenn er sich an die Abmachungen hält

Carlos trainiert seit einem Monat im Studio, weil er abnehmen möchte. «Ich habe es nicht so ein- fach wie Emanuel, er kann essen, was er will. Der hat es in den Genen. Er ist Brasilianer.» Emanuel schmunzelt, bittet Carlos, ihm auf die Füsse zu stehen, damit er Widerstand hat bei den Situps. Ein Set Rumpfbeugen. Ein Personal-Coach im Fitnessclub hat für Carlos einen Trainingsplan aufgestellt. Im Internet hat er gelesen, dass man nicht jeden Tag denselben Muskel belasten soll und dass Präparate und Protein-Shakes «scheisse sind». Er verzichtet darauf. Emanuel auch.

Boris, 18, trinkt Protein-Shakes, ein- bis zweimal die Woche. Mehr darf er nicht, das hat er mit seinen Eltern so vereinbart. Es ist spät am Nachmittag, Boris wartet im Zürcher Bahnhof Hardbrücke auf den Zug, er fährt nach Baden ins Training. Weil er nebenberuflich Fitnessmodel ist, fällt es ihm leicht, spontan auf dem Perron zu posieren. Boris absolviert die Lehre als Informatiker und trainiert fünfmal die Woche. Mit 16 sah er einen amerikanischen Bodybuilder, «da sagte ich mir, das kann ich auch». Heute wiegt er zwanzig Kilo mehr, isst im Winter vor allem Kohlenhydrate, im Sommer Poulet und Salat, niemals Zucker, nur Wasser und Grüntee.

Boris verbringt gerne Zeit im Fitnessstudio mit seinen Freunden. «Es ist ein Trend, alle machen es», sagt er. Er ist stolz auf seinen Körper, seine Eltern bezahlen einen Teil des Fitnessabos, aber eben nur, wenn er sich an die Abmachungen hält. Boris konsumiert keine Substanzen, er will, dass die Muskeln echt sind, zu gross ist seine Angst vor den Nebenwirkungen von Anabolika und Arzneimitteln zum Muskelaufbau.

«Viele trainieren total falsch und hauen Steroide rein»

Swissmedic, die schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Heilmittel, warnt vor diesen Substanzen. Die eidgenössische Zollverwaltung leitet Swissmedic verdächtige Päckchen weiter. «Nach Abschluss der Verfahren werden fast 90 Prozent der Sendungen aus Gründen der Arzneimittelsicherheit vernichtet», sagt Lukas Jaggi von Swissmedic. Hinzu komme, dass der Empfänger die Verfahrenskosten von mindestens 300 Franken selbst bezahlen müsse. «Letztes Jahr gingen etwa 400 Meldungen bei uns ein», sagt Matthias Kamber, Direktor von Anti-Doping Schweiz. «Weit mehr als die Hälfte der Päckchen beinhaltete illegale Muskelaufbaupräparate.»

Doch nicht nur illegale Substanzen, auch nicht richtig ausgeführte Übungen können langfristige Schäden verursachen. «Wenn in unseren Studios Hanteln auf den Boden knallen, dann ist das ein Indiz dafür, dass dort jemand mit zu viel Gewicht trainiert», sagt Andreas Reinhart, Sprecher der Migros-Genossenschaft Zürich. «Unsere Personal-Trainer suchen dann umgehend das Gespräch.» Die schweizweit 63 Fitnessanlagen der Migros – dazu gehören unter anderem die Fitnessparks sowie die Studios von Activ Fitness – legen Minderjährigen eine Genehmigungserklärung vor, welche die Eltern unterschreiben müssen.

Das sei nicht überall so, sagt Pat, ein 34-jähriger Landschaftsgärtner und Rugbyspieler. Er trainiert in einem günstigen Studio in Zürich-Seebach. «Ich beobachte viele sehr junge Leute, die total falsch trainieren und Steroide reinhauen.» Die Jungs würden sich die Gelenke kaputt machen, die Bänder seien in ein paar Jahren «im Arsch», die Jungs seien laut und hingen ständig an den Hanteln und Handys. «Das stört», sagt Pat, der seriös trainiert, um ein starker Rugbyspieler zu sein und um als Landschaftsgärtner anpacken zu können. Der Fitnessclub sei in den Wintermonaten voll, sagt Pat: «Die pumpen alle auf den Sommer hin, um die Frauen in der Badi zu beeindrucken.» Das Personal beaufsichtige kaum. An Substanzen käme man leicht ran. «In jedem Fitnesscenter gibt es einen Hulk-Typ, der das Zeug vertickt.» Das sei ganz leicht. «Du sprichst den Fitnessjunkie an, der kennt jemanden, der jemanden kennt, et voilà, Tes- tosteronspritzen, Anabolika.» Diese Szenen würden sich vor allem in billigen Fitnessstudios abspielen, sagt Pat. Sie sind vielfach weder zertifiziert, noch schreiben sie ein Mindestalter für Mitglieder vor. Die Abos kosten dort 500, maximal 700 Franken im Jahr.

Auch Vitamine und Proteine können schädlich sein

Am kommenden Dienstag lanciert die Anlaufstelle Info-Shop, die dem Verein Offene Jugendarbeit Zürich (OJA) angehört, die Sensibilisierungskampagne «Muskelprotz». Unterstützt wird die Kampagne mit einem Flyer der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich. «Uns ist es wichtig, junge Menschen darüber zu informieren, dass auch legale Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamine und Proteine im Übermass schädlich sein können», sagt Urs Rohr, Bereichsleiter Familie und Freizeit bei der städtischen Suchtpräventionsstelle.

Rohr warnt auch vor Präparaten, die auf dem Schwarzmarkt beschafft werden: «Von den schwarz gehandelten Anabolika weiss man, dass sie zu Impotenz, Brustwachstum und Wachstumsstopp führen können. Zudem ist man bei illegalen Substanzen nie sicher, was genau darin enthalten ist.» Die Workshops, die im Rahmen der «Muskelprotz»-Kampagne stattfinden, werden von Marco Toigo, Muskelphysiologe an der ETH Zürich und in der Uniklinik Balgrist, geführt. «Ich möchte den Jugendlichen nahelegen, sich von Arzneimitteln zum Muskelaufbau und dubiosen Nahrungsergänzungsmitteln abzugrenzen. Der Konsum von Testosteron zum Beispiel kann lebens- längliche Konsequenzen mit sich bringen.»

Vor einem Fitnessclub in Zürich-Oerlikon sitzen zwei junge Männer. Sie tragen graue Kapu- zenpullover, darunter Rippenshirts, weisse Sneakers. «Keine Auskunft», sagt der grössere von beiden, spuckt auf den Boden, öffnet seinen Energydrink. Der kleinere grölt und sagt: «Ich weiss schon, dass ihr Infos über Anabolika wollt. Aber ich sage nichts.» Sein Körper bebt, wippt zu einem Beat.

Testo-Sound für den Testo-Flow. «Wir machen Sex auf dem Segelschiff. Dein Arsch ist mein Verhütungsmittel. Nur Ultra- schallbilder fürchte ich. Bitch, ich bang dich hardcore, Alpha-DNA.» 

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