18.05.2014, Sonntagszeitung

«Ich fühlte mich wie ein Alien»

Fotopreisträger Andri Pol über die Forscher am Cern.

Von Stephanie Rebonati
Fotos: Andri Pol

Andri Pol, Sie nennen sich Wissenschaftsbanause, wurden nun aber für eine Reportage über Forscherinnen und Forscher am Cern aus­ gezeichnet. Muss man ver­stehen, was man fotografiert?
Es ist von grösstem Vorteil, aber ich kann Ihnen nach all den Besuchen und Gesprächen im Cern nicht im Detail erklären, wie ein Teilchenbeschleuniger funktioniert. Was beim Fotografieren allerdings viel wichtiger ist, ist, dass man die Menschen versteht.

Wie versteht ein Fotograf die Menschen?
Indem er mit ihnen spricht und neugierig ist.

Am Cern forschen 10'000 Physiker und Ingenieure nach dem Ursprung der Welt. Was sind das für Menschen?
Es gibt keinen Typus, der vorherrscht. Was diese Menschen aber verbindet, ist die Begeisterung für die Forschung. Das Faszinierende am Cern ist, dass all diese Leute an einem Ort versammelt auf Augenhöhe über ihre Leidenschaft diskutieren können. Das hat mich schwer beeindruckt.

Das Forschungszentrum wird oft als Kommune oder Stadt­staat beschrieben. Immerhin beherbergt es Wohnblöcke, Restaurants, eine Kita, Bank­ und Postfiliale. Sie waren während zweier Jahre regelmässig dort. Wie haben Sie sich gefühlt?
Wie ein Alien. Im ersten Moment ist es der blosse Eindruck des Geländes. Da stehen Häuser aus den 60ern und 70ern, an denen in den letzten 20 Jahren nicht viel verändert wurde. Im Sommer ist es viel zu heiss, weil Klimaanlagen fehlen. Das widerspricht völlig dem Bild, das man in der Öffentlichkeit vom Cern hat. Die Medien zeigen ja vor allem die riesigen, beeindruckenden Maschinen und die berühmten Nobelpreisträger.

Die Forscher suchen am Cern nach Elementarteilchen und versuchen, die dunkle Materie sichtbar zu machen. Was haben Sie mittels der Kamera offenbart?
Die Bilder dieser Reportage machen eine vormals weisse Fläche bunt. Sie zeigen, dass das Cern nicht nur aus Formeln und Maschinen besteht, sondern vor allem aus Menschen, die zwar von Din- gen sprechen, die die meisten Leute nicht verstehen, die aber kreativ, humorvoll und offen sind. Wegen der Reportage und des Buchs, das bei Lars Müller Publishers erschienen ist, wissen wir nun, wie die

Menschen und ihre Büros aussehen. Wie riecht und tönt es aber im Cern?
Es ist sehr still. In den Labors sit- zen die Forscher konzentriert vor Bildschirmen. Wenn irgendwo eine Bürotür offen ist, hört man Leute, die etwas besprechen. Rie- chen tut es immer anders, mal nach Mensch, mal nach Industrie, Schulhaus oder Bibliothek. Nie aber steril oder charakterlos.

Fotograf Andri Pol, 52, gewinnt den mit 5000 Franken dotierten Fotopreis der SonntagsZeitung. Der Berner Pol veröffentlichte mit dem Journalisten Martin Beglinger letzten Oktober im «Magazin» des «Tages-Anzeigers» eine Re- portage über die Forscherinnen und Forscher am Cern in Genf, der europäischen Organisation für Kernforschung. Die Bilder er- schienen auch in Buchform («Menschen am Cern») im Schweizer Verlag Lars Müller Publishers.

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