06.08.2013, Tages-Anzeiger

Ein prüfender Blick auf das Geschäft mit den geliehenen Müttern

Valerie Gudenus hat einen Dokumentarfilm über Leihmutterschaft gedreht. «Ma na sapna - A Mother’s Dream» erzählt die Geschichten von sechs Frauen in Indiens grösster Fertilisationsklinik.

Von Stephanie Rebonati
Foto: Doris Fanconi

Nisha, eine 30-jährige Inderin, sitzt im Schneidersitz auf dem Bett und bestickt eine kleine Decke. Sie sagt: «Das ist für mein Auftragspaar. So können sie allen erzählen, dass ihre Leihmutter das für sie gemacht hat.» Nisha ist im siebten Monat schwanger. Nicht mit ihrem eigenen Kind, sondern mit einem, das im Reagenzglas gezeugt und ihr in den Unterleib gepflanzt wurde. 5300 Franken kriegt sie dafür und das Auftragspaar ein leibliches Baby - in Indien ein legales, lukratives Geschäft, trotz globalem Stigma. Zahlen werden offiziell keine erhoben, über Gefühle, psychologische und gesellschaftliche Folgen spricht niemand. Befürworter sehen in der Leihmutterschaft eine Win-win-Situation: ein zeugungsunfähiges Paar erfüllt sich den Traum vom Kind, und die Leihmutter kann sich mit dem Lohn ein Haus kaufen oder ihre eigenen Kinder zur Schule schicken. Gegner werfen die Frage auf, ob der Kinderwunsch im Namen der Machbarkeit über allem stehen darf.

Die 29-jährige Regisseurin Valerie Gudenus erzählt im Dokumentarfilm «Ma na sapna - A Mother’s Dream» die Geschichte von sechs Leihmüttern in Indiens grösster Fertilisationsklinik. An einem sonnigen Morgen sitzt die Wienerin in einem Café in Zürich-Wipkingen, bestellt einen Eistee und sagt: «Leihmütter setzen alles aufs Spiel - ihre Position in der Gesellschaft, ihre Gesundheit, ihre Träume.» Da Leihmütter vorwiegend aus bildungsfernen Schichten stammen, in denen das Wissen über In-vitro-Fertilisation nicht vorhanden ist, glauben Familienmitglieder und Nachbarn, dass die Frauen mit anderen Männern Sex haben, um das Baby zu zeugen. Die Frauen verlieren ihr Gesicht und werden von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Oftmals wollen auch Auftragspaare nichts mit den Leihmüttern zu tun haben, weil sie insgeheim ethisch mit der Situation überfordert sind und daheim gar eine Schwangerschaft vortäuschen. Das Baby kommt per Kaiserschnitt zur Welt und wird direkt dem Auftragspaar übergeben. Kind und Leihmutter sehen sich in vielen Fällen nie.

Vom Ehemann unterstützt

Anders bei der 23-jährigen Papiha. Nach der Geburt der Zwillinge erscheint das kanadisch-indische Auftragspaar mehrere Wochen nicht. Die Leihmutter wird nervös, kümmert sich um die Kinder und, obwohl sie sich während neun Monaten dagegen gewehrt hat, baut sie eine emotionale Bindung auf, lässt die Mädchen von der Brust trinken. Die kleine Frau mit dem runden Gesicht ist die Hauptprotagonistin in Valerie Gudenus Film. «Papiha hat geheiratet, um Leihmutter zu werden», erzählt die Regisseurin. Für ledige Frauen ist es schwierig, denn man braucht jemanden, der für einen bürgt, und muss bereits ein Kind zur Welt gebracht haben. Papihas Ehemann und dessen Mutter unterstützen sie und kümmern sich um sie nach der Geburt. Eine Geburt, die im Film eine Schlüsselszene einnimmt.

Nach dem Kaiserschnitt verschwinden die Ärzte zum Mittagessen, Papiha liegt auf dem Schragen und wird sich ihres rasanten Wertezerfalls bewusst: Was sie während neun Monaten derart wertvoll gemacht hatte, ist jetzt nicht mehr in ihr drin. Valerie Gudenus sagt: «Wir haben nichts inszeniert. Die Ärzte liessen sie über 40 Minuten verlassen so liegen.»

Vor ein paar Jahren konnten sich die Leihmütter mit den 5300 Franken noch ein Haus kaufen - heute, weil die Preise angestiegen sind und ihre Löhne nicht angepasst werden, reicht es für eine Rikscha, einen dreirädrigen Wagen. Papiha kaufte ihrem Ehemann ein solches Gefährt. «Ob die Träume der Leihmütter in Erfüllung gehen, ist fraglich», sagt die Regisseurin. Und trotzdem, sie als Opfer zu betrachten, wäre ihnen gegenüber nicht fair. Valerie Gudenus erzählt von würdevollen Frauen, die sich gegen den Willen ihrer Ehemänner und Schwiegermütter durchsetzten, um Leihmütter zu werden. «Vor meinen Recherchen war ich durch das medial geschaffene Bild der Ausbeutung geprägt», sagt sie, «vor Ort aber traf ich auf Frauen, die genau wussten, was sie da tun, nämlich von einer besseren Zukunft träumen.»

Es war Valerie Gudenus’ Mutter, «eine inspirierende Frau», die sie auf das Thema aufmerksam machte. «Jetzt ist sie vorsichtiger geworden», sagt sie lachend. Vorsichtiger, weil die Mutter nun weiss, dass die Tochter sich zwei Jahre mit einem Thema auseinandersetzt und monatelang im Ausland weilt, wenn sie will - auch für eine Abschlussarbeit. «Ma na sapna - A Mother’s Dream» ist Gudenus’ Thesis an der Zürcher Hochschule der Künste. Eine Arbeit, die einiges ins Rollen brachte. Premiere feierte der Film am Filmfestival Visions du Réel in Nyon, danach wurde er am Festroia-Filmfestival in Portugal gezeigt. Als Nächstes steht Russland auf der Liste. Noch immer ist Valerie Gudenus mit den Protagonistinnen in Kontakt. Papiha hat es seit der Geburt der Zwillinge noch zweimal probiert, wurde aber nicht schwanger. Eine andere Leihmutter weigerte sich, den Lohn mit ihrem Mann zu teilen. Er verprügelte sie, sodass sich die Nähte des Kaiserschnitts lösten und sie seither mit Entzündungen zu kämpfen hat. Man fragt sich, ob das Auftragspaar jemals davon erfahren hat. Oder endet ihre Verantwortung mit der Geburt, da der Deal gemäss Vertrag erfüllt wurde? Valerie Gudenus’ Film liefert keine Antworten, sondern stellt dringliche Fragen.

«Ma na sapna - A Mother’s Dream» wird am 29. 9. in der «Sternstunde» des Schweizer Fernsehens ausgestrahlt.

Leihmutterschaft: In der Schweiz verboten

Eine Leihmutter ist eine Frau, die für die Dauer einer Schwangerschaft ihre Gebärmutter «verleiht», um anstelle einer anderen Person ein Kind zur Welt zu bringen. In der Schweiz und in weiten Teilen Europas ist Leihmutterschaft verboten, nicht aber in den USA, der Ukraine, Indien, Thailand, Russland und Georgien. Kinder, die durch Leihmutterschaft zur Welt kommen, sind zunächst staatenlos.

Da gemäss Artikel 119 der schweizerischen Bundesverfassung hierzulande alle Arten von Leihmutterschaft verboten sind, akzeptieren Schweizer Botschaften sowie Einreise- und Zivilstandsbehörden im Ausland ausgestellte Leihmutterschaftsverträge offiziell nicht. Trotzdem gelingt oftmals die Einreise, wie ein Bericht des Bundesrats 2011 vermuten lässt: «Die schweizerischen Zivilstandsbehörden verzeichnen in jüngerer Zeit insbesondere bei der Beurteilung ausländischer Geburtsurkunden zum Zwecke der Eintragung ins schweizerische Personenstandsregister vermehrt Anfragen, die den Verdacht auf Leihmutterschaft aufkommen lassen.» 

Offizielle Zahlen existieren keine; die geschätzte Dunkelziffer liegt bei mehreren Hundert Leihmutterkindern, die jährlich unbehelligt in die Schweiz einreisen.

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