22.05.2014, Tages-Anzeiger

Sie will die vierte Wand durchbrechen

Die serbische Regisseurin Aleksandra Pavlovic erprobt in der Gessnerallee ein neues Theatererlebnis: Schauspieler und Zuschauer sollen gemeinsam essen, diskutieren und so kollektiv Kunst schaffen. 

Von Stephanie Rebonati
Foto: Doris Fanconi

Eine kleine Altbauwohnung im Zürcher Kreis 5. Ockergelbes Sofa, Fischgratparkett, eine Vase mit Pfingstrosen. João Gilbertos sanfte Bossa-nova-Stimme tänzelt durch die Räume. Draussen zischen die Trams die Limmatstrasse entlang, drinnen in der Küche zupft Aleksandra Pavlovic Blätter von einer Petersilienpflanze. Der graziösen Frau mit dem charmanten Akzent zuzuschauen und zuzuhören ist angenehm. Sie bewegt sich schnell und geschmeidig. In der weiten grauen Stoffhose mit hoher Taille, der weissen Bluse und mit der Hornspange im dunkelblonden Haar erinnert die 28-jährige Serbin vom Typ her an Marlene Dietrich.

Aleksandra Pavlovic lebt seit drei Jahren in der Schweiz. Die Regisseurin und Kuratorin hat eigenwillige Ideen für das zeitgenössische Theater. Sie will die «vierte Wand» durchbrechen, jene durchsichtige Grenze zwischen Publikum und Bühne. Sie will Theaterbühnen zu begehbaren Räumen machen, sodass Schauspieler und Zuschauer direkt in Kontakt treten, sich austauschen und kollektiv Kunst erleben.

Am Samstag debütiert sie an der Südbühne in der Gessnerallee in Zürich. Titel der Veranstaltungsreihe: «Mit dem Tisch durch die Wand». Ein interdisziplinäres Projekt, das Theaterstück, Ausstellung und Dinner in einem ist. Aleksandra Pavlovic nennt es kurz «Ess- Stück».

«Ich mache uns eine Fusion. Ein bisschen Libanesisch, Italienisch und Nüsslisalat, ja?», sagt sie, schneidet Fenchel, filetiert Orangen, streut Fleur de Sel. Sie zückt ein Messer, schiebt etwas in den Ofen, schraubt die Senftube zu. Und sagt: «Kochen ist für mich wie Regieführen.» Dann bleibt sie stehen. Eine Hand auf der Stuhllehne, die andere in die Hüfte gestützt. Sie runzelt die Stirn. «Ein Abendessen mit Freunden ist eigentlich ein kleines Theater. Alles ist irgendwie inszeniert und doch nah und echt. Macht es überhaupt Sinn, was ich da sage?», fragt sie und dreht sich geschwind, um eine bunte Keramikschale mit Hummus auf den Tisch zu stellen.

Wenn sie lacht, dann laut

An der Türklinke hängt ein Bastkorb mit Lederhenkeln, auf dem Fenstersims steht eine Packung Mandelgebäck aus Florenz. In der Ecke die Dusche, im Schüttstein die Zahnbürste. Aleksandra Pavlovics Welt ist ein humorvoll-romantisches Geflecht aus Improvisation und zufällig erscheinender Ästhetik. Ihre Sprache eine reizvolle Mischung aus Deutsch und Englisch mit slawischer Schärfe und Weichheit. Spricht sie über Essen und Kochen, Theater und Literatur, malt sie das Gemeinte in die Luft. Sie holt mit den Armen aus, klatscht, haut auf den Tisch, reibt die Fingerspitzen aneinander, führt sie zum Handkuss. Wenn sie lacht, dann laut. Oft zieht sich ihr Mund zu einem breiten Grinsen auseinander.

Aufgewachsen ist sie in Belgrad. Durch die Kriege in ihrem Heimatland habe sie «gelernt, etwas mit sich anzufangen». Während des Kosovokriegs sass die damals 14-Jährige im Keller und las Bücher über griechische Mythologie. Später studierte sie in Belgrad Regie für Theater und Radio sowie Gender Studies. Als Studentin abonnierte sie die deutschsprachige Fachzeitschrift «Theater der Zeit», in der ihr ein Inserat der Zürcher Hochschule der Künste auffiel. Sie machte sich schlau, meldete sich.

Aus Neugierde und Beharrlichkeit resultierte im November 2011 in Zürich ein kleiner Regieauftrag in Goethes «Faust» des Schweizer Regisseurs Stephan Müller. Es folgte eine Regieassistenz am Theater der Künste. Zweieinhalb Jahre später steht Aleksandra Pavlovic kurz vor ihrem Abschluss in Spatial Design an der Zürcher Hochschule der Künste. Und kurz vor ihrem Zürcher Debüt.

«Ich liebe verrückte Dinge»

Die Veranstaltungsreihe «Mit dem Tisch durch die Wand» vereint verschiedene Tavolate – also Tafel-Erlebnisse. Übermorgen werden Zuschauer und Schauspieler an einem langen Tisch sitzen – einem changierenden Bühnenbild aus verspiegelten Tischplatten –, Brot essen und über das diskutieren, was an der Fussballweltmeisterschaft in Brasilien im Abseits geschieht. Über die internationalen Proteste gegen den Megaevent, über soziale Ungerechtigkeit. Inputs dazu liefern Performances.

Höhepunkt wird am 31. Mai ein Gastspiel des in London lebenden Italieners Martino Gamper sein. Der Möbeldesigner bringt seine multifarbigen Plastikhocker mit und kocht. «Total Trattoria» heisst sein Tavolata-Konzept, das er 2008 erstmals in London zeigte und wofür er aus Architektur- und Kunstkreisen international Beifall erhielt. Am 25. und 27. Juli tischt Aleksandra Pavlovic dann an der Architekturbiennale in Venedig auf. Das Ess-Stück wird sich an der Adria mit der Frage beschäftigen, was mit einer Stadt wie Venedig passiert, wenn sie gleichzeitig historisches Juwel, eine Achse im internationalen Kunstbetrieb und ein Magnet für den Tourismus ist.

«Es wird lustig. Ein Statement. Ich liebe verrückte Dinge», sagt Aleksandra Pavlovic über die bevorstehenden Kunstaktionen. Irgendwie ist sie selbst eine Fusion. Gleichzeitig Grazie und Rabauke. Ein unverblümtes Wesen, das gern mit dem Tisch durch die Wand geht.

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