18.09.2013, Transhelvetica

Via Salina

Bevor in der Rheinebene Salz entdeckt wurde, wurde das weisse Gut jahrhunderte-lang importiert – vom französischen Jura über die Salzstrasse nach Bern. Heute ist die ehemalige Handelsroute ein Wanderweg, merkwürdig und abwechslungsreich.

Von Stephanie Rebonati
Fotos: Filipa Peixeiro

Jennifer und Karida sind 19 und 23 Jahre alt. Sie sind schüchtern, zierlich und stammen ursprünglich aus China. Sie sagen: «The mountain is good» und kichern. Die jungen Frauen arbeiten seit vier Monaten im Hôtel de l’Ours in Vuiteboeuf, einem 522 Seelendorf am Fusse der Schlucht von Covatannaz im Kanton Waadt. Vuiteboeuf und das Hôtel de l’Ours liegen auf der ehemaligen Salzstrasse, auf der bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Salz vom französischen Jura nach Bern transportiert wurde. Heute wird die Strecke ViaSalina genannt, um den Wanderern Nostalgie, Patina und Geschichte mit auf den Weg zu geben. So geheissen hat sie jedoch nie.

Jennifer und Karida haben noch nie von der ViaSalina gehört, auch von Genf und Zürich nicht. «No, no», sagen sie verlegen. Das Hôtel de l’Ours hat neun Zimmer mit insgesamt achtzehn Betten, einen Konferenzraum und ein Restaurant mit rotgoldigen Lampions und schweren Stammtischen. Poulet Satay wird für neunzehn, Käsefondue für fünfundzwanzig und das Entrecôte Parisienne für zweiunddreissig Franken serviert. Jennifer und Karida wollen nicht fotografiert werden: «no make-up, no photo».

Cédric, ein 22-jähriger Koch mit blasser Haut und einem Augenbrauenpiercing, bestellt im Garten des Hôtel de l’Ours ein Bier. Er erzählt von Vugelles-La Mothe, wo 116 Menschen leben und er im Restaurant La Croix-Fédérale kocht. Er nennt es «magnifique», das Lokal, nicht den Ort. Im La Croix-Fédérale haben bereits François Glauser und Maryline Nozahice gekocht, beides Gault-Millau-Köche. 

Bis nach Russland bekannt
Aufgewachsen ist Cédric in Sainte-Croix, das oberhalb der Schlucht von Covatannaz liegt und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts bis an den russischen Zarenhof bekannt war für seine Musikdosen und Spieluhren. Nationale Bekanntheit erlangte das Dorf 1999 durch die Schweizer TV-Soap Lüthi und Blanc, die in Zürich und Sainte-Croix handelte. Cédric hat für seine Heimat nur ein «c’est un village, c’est pas beau» übrig und zündet eine Zigarette an.

Manchmal fahre er mit dem Mountainbike die Schlucht hinunter, erzählt der junge Koch, aber von der ViaSalina oder Salzstrasse habe er noch nie gehört. Merkwürdig, da auf dem Hügel zwischen Vuiteboeuf und Sainte-Croix die massiven Karrgeleise liegen, das bedeutendste erhaltene Strassensystem der Schweiz aus dem Mittelalter, Überreste der einstigen bernischen Salzstrasse. Sie sind unübersehbar.

Jennifer und Karida begrüssen drei Männer mit zwei grossen Hunden, die den Gartenspitzplatz des Hôtel de l’Ours betreten. Sie bestellen Bier und lassen über ihre Handys Techno laufen. Die Kellnerinnen tapsen in die Gaststube und Cédric bricht ohne eine «au revoir» nach Vugelles-La Mothe auf, seine Zimmerstunde ist vorbei. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite steht ein Schild: «Pommes de terre Self-Service», zehn Kilo Kartoffeln für zehn Franken, drei Kilo für vier Franken. Cédric spickt seinen Zigarettenstummel ans Schild uns spuckt auf den Boden.

Von Bern zur Königlichen Saline
Die Wanderung entlang der ViaSalina beginnt aus Schweizer Sicht in Bern und endet im französischen Arc-et-Senans, das Zuhause der sogenannten Königlichen Saline – eine Manufaktur zur Salzgewinnung, die von König Ludwig XVI in Auftrag gegeben und 1779 vom Revolutionsarchitekten Claude-Nicolas Ledoux fertiggestellt wurde. 1982 wurde die Königliche Saline von der UNESCO als Weltkulturerbe deklariert.

Vuiteboeuf, das Hôtel de l’Ours, die Karrgeleise und Sainte-Croix liegen auf der vierten Etappe von Bern nach Arc-et-Senans. Auf der vierten Etappe wandert man im Jura-Nord vaudois von Yverdon-Les-Bains nach Sainte-Croix. Eine Wanderung, die grösstenteils über unsichere Wege führt, auf denen die gelben Wegweiser entweder verbogen sind oder gar gänzlich fehlen. Ständig fragt man sich, ob man auf dem richtigen Weg ist. Das hat seinen Reiz.

Rund fünfzig Minuten nach Yverdon-Les-Bains, wo die vierte Etappe offiziell beginnt, trifft man auf das malerische Dorf Montagny-près-Yverdon, wo im alten Ortskern Acker- und Weinbauernhäuser aus dem siebzehnten bis neunzehnten Jahrhundert noch erhalten sind. Schmale Strassen führen an tiefen Steinmauern und mit Blumen behangenen Balkonen vorbei, erhöht steht die 1769 erbaute Pfarrkirche. Auch Valeyres-sous-Montagny, ein weiteres Dorf auf der Route, hat Charme und Geschichte. Gepflasterte Strassen, schwatzende Frauen in Kochschürzen am Wegrand, Gärten und Terrassen in voller Blüte.  Archäologen entdeckten hier ein Gräberfeld aus dem Frühmittelalter. Von Valeyres-sous-Montagny führt ein Waldweg durch den Bois de Lily nach Mornens, wo in einer Lichtung ein grosser Bauernhof mit seinen beige-weiss-gefleckten Rindern daheim ist.

Es ist eine abwechslungsreiche und gleichzeitig merkwürdige Wanderung, diese vierte Etappe entlang der ehemaligen bernischen Salzstrasse. Über sechs Stunden und zwanzig Kilometer ist man unterwegs, während denen 850 Höhenmeter überwunden werden. Man geht an Fenchel- und Zucchinifelder vorbei, durch Dickicht und hüfthohes Gras. Plötzlich steht man in einer Lichtung und da huschen drei Rehe durch den Nieselregen, ein Grabstein einer gewissen Genevieve De Bros liegt am Waldrand, daneben ein Verwandter, Emmanuel De Bros. Um dem Wegweiser zu folgen, müssen ein elektrischer Zaun und eine grosse Kantonsstrasse ohne Gehstreifen überquert werden. Man wähnt sich auf einer Entdeckungsreise, einer Schnitzeljagd und hat stets das Gefühl, irgendeiner Spur zu folgen.

Endlich Salz entdeckt
Am 30. Mai 1836 wurde in Schweizer Böden endlich Salz gefunden, das das Land zu versorgen vermochte. Das Salz, in der Rheinebene in der Umgebung von Basel, lag 107 Meter in der Tiefe. Es war schon immer da, nur wusste man das damals nicht. Jahrhundertelang wurde das weisse Gold von Arc-et-Senans und Salins-les-Bains über die Salzstrasse nach Bern und so ins Schweizer Mittelland importiert. Organisiert und verwaltet wurde der Import durch die sogenannte Salzkammer, die von 1642 bis 1798 an der Brunngasse 48 in Bern einquartiert war.

Das französische Salz, das für seine Reinheit bekannt und begehrt war, wurde mit Saumtieren, Fuhrwerken und Schiffen über Land- und Wasserwege transportiert. Grandson, eine Gemeinde im Distrikt Jura-Nord vaudois, und das «Iferten» genannte Yverdon-Les-Bains waren Stapelplätze für die Salzlieferungen von den Jurahöhen her. Das eindrücklichste Relikt aus jener Zeit sind die Karrgeleise, von denen Jennifer, Karida und Cédric noch nie gehört haben: bis zu zwanzig Zentimeter tiefe, parallel zueinander verlaufende Rinnen in einer nivellierten Felsfläche. Das archäologische Schutzobjekt befindet sich inmitten des Waldes an einem steilen Hang zwischen Vuiteboeuf und Sainte-Croix. Die Funktion der Rinnen bestand darin, die ohne Bremsen ausgestatten Fuhrwerke bei der Talfahrt zu sichern. Ein Forschungsprojekt des Schweizerischen Nationalfonds wies 2010 die Benützung dieser Geleisestrassen vom dreizehnten Jahrhundert bis 1760 nach.

Von Brasilien nach Sainte-Croix
Tania Cristina, eine 44-jährige Brasilianerin, die seit zwei Monaten im Buffet de la Gare in Sainte-Croix arbeitet, hat noch nie von den Karrgeleisen oder der ViaSalina gehört. Sie stöhnt, brummt und lacht beim Zuhören über den steilen Hang, die verbogenen Wegweiser und das Dickicht mit seinen verborgenen Maschendrahtzäunen. «Cruz credo!» ruft sie, Gott bewahre. Stolz sagt sie, dass ihre drei erwachsenen Söhne in England, Spanien und Brasilien leben und dass sie mit ihrem neuen Mann, er ist jünger als sie, aber ebenfalls Brasilianer, ein viertes Kind haben möchte.

Tania Cristina erzählt, wie sie über Portugal, Italien, Frankreich und durch die Folge von Zufällen schliesslich nach Sainte-Croix gelangte. Unsichere Wege führten sie hierher, «aber Gott war immer mit mir», sagt sie und schaut gen Himmel. Ein Mann mit weissem Hut und warmen Augen betritt das Buffet de la Gare. Tania Cristina kennt ihn. Sie wechseln ein paar Worte, halb französisch, halb spanisch und portugiesisch. Er verkauft Portemonnaies, Gürtel und Modeschmuck, alles glänzt und glitzert, er grinst. Man fragt sich, welche Wege ihn nach Sainte-Croix geführt haben.

Unterwegs auf der ViaSalina
«Auf Gold kann man verzichten, nicht aber auf Salz», schrieb der römische Staatsmann Cassiodor. Salz war einst ein wertvolles Gut, das jahrhundertelang von Frankreich in die Schweiz importiert bevor heimisches Salz 1836 bei Basel entdeckt wurde. Die ehemalige bernische Salzstrasse, heute ViaSalina genannt, ist eine abwechslungsreiche, mehrtägige Wanderung, die von Bern nach Arc-et-Senans führt und in Etappen absolviert werden kann. In Zusammenarbeit mit Kulturwege Schweiz bietet der Reiseveranstalter Café de Tour von Anfang April bis Ende Oktober verschiedene Packages an. Mehr Informationen unter www.cafedutour.ch und www.kulturwege-schweiz.ch. 

Das Schweizer Salzmonopol
Bis zur kommerziellen Bewirtschaftung der Rheinsalinen um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war die Eidgenossenschaft fast gänzlich auf ausländisches Salz angewiesen. Die einzig nennenswerte inländische Saline war diejenige von Bex im Kanton Waadt. Doch diese vermag bis heute nicht mehr als den Bedarf der Region zu decken. 1836 wurde in der Rheinebene bei Basel erstmals reichlich Salz gefunden. Seit 1973 schiebt die interkantonale Vereinbarung über den Salzverkauf in der Schweiz der Schweizerischen Rheinsalinen AG (SRS) das Monopol für Herstellung und Import von Salz zu. Dem Konkordat sind 25 Kantone angeschlossen, der Kanton Waadt hat mit der Saline de Bex einen eigenen Regalraum. Wer Salz importieren möchte, muss bei der SRS eine Einfuhrbewilligung beantragen. Diese wird nur erteilt, wenn Salze, Salzgemische oder Salzlösungen für eine Anwendung angefordert werden, für die kein entsprechendes Produkt der SRS geeignet ist. Gegen dieses im internationalen Vergleich einmalige Monopol sind wiederholt politische Vorstösse ergriffen worden – bisher ohne Erfolg, weil die Kantone keinerlei Interesse haben, auf die millionenschweren Einnahmen aus dem Salzregal und den Dividenden der SRS zu verzichten. 

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