14.07.2011, Züritipp

Büezer

Sie verschulden sich und arbeiten hart für wenig Geld. Aus ihrer Idee soll eines Tages ein florierendes Unternehmen werden. Fünf junge Menschen erzählen, wie sie das schaffen wollen.

Von Stephanie Rebonati
Fotos: Esther Michel

Die Körperbewusste Illia Schrämli, 23 Jahre
Sie sitzt vor ihrem Lokal auf einem Plastikstuhl, die Nägel sind pink, die Augen blau. «Ich habe Vertrauen in mich, darum wage ich das mit der Selbstständigkeit», sagt Illia Schrämli. Seit diesem Juni betreibt die 23-Jährige ein Beautystudio am Schaffhauserplatz. Dort steht man für 50 Franken pro Minute unter eine Bräunungsdusche und wird so ohne UV-Bestrahlung braun. Dies sei laut der gelernten Coiffeuse gesünder als die herkömmliche Methode in den Solarien. Nach sieben Jahren Haare schneiden hatte Schrämli eine neue Herausforderung gesucht, im April 2011 wurde sie auf einer Messe fündig. Sie bestellte die Bräunungsmaschine für 35 000 Franken, noch bevor sie den Kleinkredit auf sicher hatte. Sie gibt zu, dass es etwas halsbrecherisch war. Aber sie tat es aus einem Gefühl heraus, das ihr sagte: Es ist das Richtige. 

Ehe sie ihr Lokal eröffnete, besuchte Illia Schrämli zwei Studios, die die gleichen Gerät haben. Dort sah sie Warteschlangen und hörte das Telefon ständig klingeln. Sie war sich sicher: Das neue Angebot kommt an. Schrämli arbeitet emsig. Via Facebook macht sie Werbung. In Boutiquen und Clubs legt sie Flyer auf. Dort verkehrt ihre Zielgruppe: «15- bis 35-Jährige, die Geld und Sinn für Ästhetik haben.» Falls die Mundpropaganda zu wenig wirkt, will sie in der Presse mehrere Inserate schalten. Zur finanziellen Absicherung arbeitet Schrämli aber weiterhin zwei Tage die Woche in einem Coiffeursalon. Ob sie jemals 100 Pro- zent in ihrem eigenen Studio arbeiten wird, weiss sie nicht: «Beide Jobs zu je 50 Prozent wären ideal», sagt sie, «wegen des Ausgleichs». Im Bräunungsstudio wird sie von einer Angestellten unterstützt. Dass die Eröffnung auf den Sommer fällt, findet Illia Schrämli «perfekt». «Es will doch niemand mit weissen Beinen in die Badi», sagt Schrämli. Ihre Wädli allerdings sind schneeweiss – von Farbe. Sie sagt: «Der Maler ist zu teuer, ich streiche lieber selbst.»

Der Senioren-Förderer Fabio Babey, 30 Jahre
Vor zwei Jahren lag Fabio Babey mit Freunden an der Côte d’Azur am Strand und debattierte über die AHV. «Das Potenzial der Pensionierten wird nicht richtig genutzt», rief Babey damals in die junge Männerrunde. Und so war eine Geschäftsidee geboren: eine Stellenvermittlung für Senioren. Zurück in der Heimat, erkannten Babey und sein langjähriger Mitbewohner Christian Wittmer, dass es an Programmen fehlt, die Rentner gezielt zu integrieren: «Man wird zwischen 60 und 65 pensioniert, gemäss Statistiken geht es ab 80 ins Altersheim. Dazwischen liegen 20 überaus wertvolle Jahre», so Fabio Babey. Die beiden 30-Jährigen erstellten einen trockenen Fragenkatalog und gingen auf die Strasse. Ihre Erkenntnis: Viele Senioren wollen arbeiten. Und sie sind ideale Arbeitnehmer: tiefe Lohnkosten, keine Weiterbildung, geringe Sozialabgaben und eine lebenserfahrene Hilfskraft, die aus Spass arbeitet. 

Im Frühling 2010 gründeten die beiden Emeritus-Work (Emeritus: ein Hochschullehrer im Ruhestand) und vermittelten bisher drei Rentnern Teilzeitstellen in der Lebensmittel-, Finanz-, und Möbelbranche. Ziel bis Ende Jahr sind 17 weitere Vermittlungen. Um dies zu erreichen, hat Fabio Babey einen Senior eingestellt, der recherchiert und seine Beziehungen nutzt, um seine Emeritus bei KMU bekannt zu machen. Es ist ein Knochenjob, Absagen gehören dazu. Von Emeritus leben können die zwei Jungunternehmer noch nicht. Babey arbeitet hauptberuflich als Jurist, Wittmer als Unternehmensberater. Die investierten 30 000 Franken bereiten ihnen aber keine Sorgen. Das Geld stammt bewusst aus dem eigenen Sack: «Geldgeber wollen immer etwas im Gegenzug. Mein Ansatz ist aber: Ich will auf jeden Fall niemandem verpflichtet sein», sagt Babey. Zweck von Emeritus ist sowieso nicht das ganz grosse Geld: «Ich bin kein Gutmensch, aber auch nicht voll kohlegeil. Ich will einfach etwas tun in meinem Leben, das Sinn macht.» Babeys persönliches Ziel ist die Selbstständigkeit: «Ich möchte meine Arbeitszeiten selber einteilen können – und nicht immer einen steifen, grauen Anzug tragen müssen.»

Die Handwerkerin Nitya Unju Park, 26 Jahre
Mit geschickten, schnellen Handgriffen kreiert Nitya Park aus einem Lederband, verschiedenen Metallteilen und Sekundenleim einen kleinen Schlüsselbund. Die 26-jährige Nitya Park entwirft seit über zwei Jahren verschiedene Lederaccessoires, dazu Schals: «Meine kreative Designarbeit beflügelt mich», sagt sie. Die Arbeit macht ihr Spass, Gedanken ans investierte Geld schiebt sie aber beiseite.Vor zwei Jahren machte sie sich unter ihrem koreanischen Namen Unju – zu Deutsch: silberne Perle – selbstständig. Damals lebte sie in einem 300-Franken-WG-Zimmer, arbeitete «Vollgas» und sparte so 6000 Franken, weitere 4000 lieh sie sich von einer Bekannten. Nach kurzem Hin und Her trug sich Unju 2009 ins Handelsregister ein. «Die Gründung ist der kleinste Aufwand», sagt Nitya Park. Aufreibend sei vielmehr die Suche nach einem Hersteller. Park aktivierte ihr Netzwerk. Sie kennt sich in der Modebranche aus, arbeitete sie doch nebenher in einer Modelagentur und Boutique.

Sie fragte Designer, informierte sich übers Internet und reiste nach Indien und Bali. Dort agierte sie mit einem Trick: «Wenn mir in einem Shop ein Produkt gefiel, fragte ich nach der Beschaffenheit – und nebenbei nach dem Produktionsort. Park produziert nie mehr als 100 Stück, das ist die Konsequenz des kleinen Budgets. «Ein grösseres Risiko kann ich noch nicht eingehen.» Das Warten auf Produkte bereitet ihr viele angespannte Wochen – nicht ganz ohne Grund. Denn letzten Winter fehlten die Schals, weil der indische Produzent drei Viertel der Ware schief bedruckt hatte. Jetzt arbeitet sie erfolgreich mit einem Familienbetrieb in Osteuropa zusammen. Nitya Parks Kleinode werden in sieben Schweizer Shops, in Berlin und auch in Antwerpen angeboten. Zu diesen Abnehmern kam sie durch Eigeninitiative und Vitamin B. Und zwei Läden kamen direkt auf sie zu, «eine schöne Bestätigung». Der Onlineshop hingegen läuft nicht wie erwartet. Das liege wohl daran, dass man es nicht berühren könne. Park strebt eine weitaus grössere Produktepalette an und will darum ab nächsten Herbst Textildesign in Luzern studieren. «Entwerfen, Inszenierung und Marktanalyse, ich will von A bis Z erlernen.»

Die Radler Roman Bachmann, Rafaél Thut, beide 24 Jahre
Roman Bachmanns Hände sind ölverschmiert. Er sägt keuchend den Ständer eines Condor-Damenvelos ab, im Hintergrund beschwert sich sein Stiefbruder Rafaél Thut über den Computer; Alltag in der kleinen Velowerkstatt im Kreis 6. Seit dem ersten April dieses Jahres betreiben die beiden 24-Jährigen ihr eigenes Geschäft. Ihre Leidenschaft für Velos entdeckten sie aber bereits in jungen Jahren. Damals bauten sie alte Rennvelos in schicke Cityflitzer um. «Wir wollten so stylischer und schneller von Disco zu Disco gelangen», erklärt Bachmann. 2009 entscheiden sie sich schliesslich für «ein richtiges Business». 15 000 Franken finden sie auf ihren Sparkonten, weiteres Kapital leiht ihnen eine Privatperson. 2010 öffnet sich ein weiteres Türchen: Im Haus der Eltern wird plötzlich ein Lokal frei.

Um die Kosten tief zu halten, bauen sie die ehemalige Servicestelle für Sicherheitsanlagen eigenhändig um. Und die Reisen zu den internationalen Messen zeigten ihnen eines: «Um glaubwürdig zu sein, musst du Visitenkarten und einen Handelsregisterauszug dabei haben», erzählt Thut. Rückblickend würde Rafaél Thut die Website viel früher online schalten. Diese sei vor allem für Anbieter aus den USA eine sehr wichtige Bestätigung für ein seriöses Velo-Geschäft. Ihr grösstes Risiko ist es, auf den teuren Veloteilen, Accessoires und Kleidern sitzen zu bleiben. Die beiden Brüder verwirklichen ihren Traum «learning by doing». Einen Businessplan jedoch haben sie keinen, dafür ein grosses Netzwerk, das gratis Mundpropaganda macht: «Es ist die beste Werbung», so beide. In Zürich sind sie sehr gut vernetzt. Sie feiern gerne Partys, spielten bei den GCK Lions Eishockey und arbeiteten als Velokuriere. Seit der grossen Eröffnung im vergangenen April ist Bachmann mit Aufträgen ausgelastet und kann davon leben. Für zwei reicht der Lohn noch nicht, Thut arbeitet deshalb nebenbei in einem Designbüro. «Das wird sich im nächsten Jahr hoffentlich ändern», sagt Bachmann. Denn nur im Duo ist es ein richtiges «Family Business».

Der nostalgische Barbetreiber Alvaro Marangoni, 22 Jahre
«Sorry für die leichte Verspätung, die Behörden!», ruft Alvaro Marangoni bereits von weitem und steigt vom Rennrad. Als Barbetreiber weiss er: Jedes Detail muss abgenickt werden. Das stört den 22-Jährigen nicht mehr. Seit der Matura arbeitet er in der Gastronomie und seit Februar in seiner eigenen Bar «Dante». Zur Mittagszeit ist sie noch geschlossen. Erst am Abend glitzern die Kronleuchter, und Kellner im schwarz-weissen Anzug gleiten dann über den karierten Boden. «Ich möchte die nostalgische Gastrokultur in den Kreis 4 bringen», erklärt er. Es war im vergangenen Herbst, als Marangonis Leben eine entscheidende Wendung nehmen sollte. Ein erfahrener Gastronom hatte die Idee für eine Bar, brauchte aber noch einen Mann im Vordergrund, der sich auch finanziell beteiligt. So kam Marangoni ins Spiel. Doch sollte er das Risiko eingehen? Er führte Gespräche mit seinen Eltern, die ein Geschäft mit antiken Möbeln haben. Sie ermutigten ihren Sohn. So wagte er den Schritt und schrieb das Konzept, seine neue Bar klar vor Augen: «Elegant, nicht pompös». 

Der Zusatzraum im Keller ist laut Marangonis Konzept ein Ort für Partys. Doch es sollte sich später herausstellen: Für die Stadt ist er zu lärmdurchlässig. «Das Lokal ist vorbelastet, der Vorgänger hat es mit dem Schallschutz nicht ganz genau genommen», sagt Alvaro Marangoni. Partys werden darum hier nie stattfinden. Lesungen und kleine Konzerte schon, die entsprechen den auferlegten 84 Dezibel. Zum Vergleich: Clubmusik wird bei 98 Dezibel gespielt. Fünf Abende pro Woche steht Marangoni hinter der Bar, am Dienstag und Mittwoch ist er alleine, Donnerstag bis Samstag sind sie zu dritt – das ist der Schlechtwetterplan. Im Sommer arbeiten die Angestellten nur auf Abruf, weil dem Lokal Aussenplätze und dadurch Gäste fehlen. Marangoni zählt aber auf die Behörden: «Ich hoffe, dass wir die Bewilligung noch diesen Sommer bekommen.» In Marangonis Bar steckt sein Herzblut – und eine Menge Geld. Das von einer Privatperson geliehene Kapital muss er innerhalb von fünf Jahren zurückbezahlen. Er haftet privat. «Ich bin mir sicher, dass ich all meine Schulden begleichen kann», sagt der junge Chef mit eigener Bar.

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