23.02.2017, Züritipp

Hoch die Tassen

Mehr als nur Kafi crème: Wie Städter das Kaffeemachen für sich entdeckt haben – und warum das gut ist. 

Von Stephanie Rebonati
Bilder: Raisa Durandi

Bestellt man im Grande am Limmatquai einen Cappuccino, fragt der Barista, ob man diesen mit heller oder dunkler Röstung trinken möchte. Studiert man die Getränkekarte der Bank am Helvetiaplatz, erfährt man, dass das Lokal saisonal wechselnden Kaffee anbietet – aktuell eine süss-cremige Sorte aus Ruanda namens Buremera. Oder dass der Espresso aus Honduras stammt und den Namen Santa Rosa trägt. Das Coffee an der Grüngasse beschreibt gar das Aroma: Kolumbianischer Heritage etwa schmeckt nach Rosinen und Milchschokolade.
 
Kaffee ist in Zürich nicht mehr länger einfach nur Kaffee. Dem Kaffeetrinken ist etwas widerfahren: Es hat sich zur Expertensache gemausert. Die einen empfinden die Diskussion um Herkunft, Ernte und Mahlgrad zwar als lästig und wollen wie bis anhin einfach einen Kafi crème bestellen; andere aber setzen sich leidenschaftlich für das Thema ein und freuen sich am Diskurs. Es herrscht ein Coffee-High.
 
Ungewöhnlich sind detaillierte Herkunftsund Produkteangaben eigentlich nicht: Beim Wein sind sie nicht wegzudenken, und beim Fleisch ist man sehr froh um sie. Aber beim Kaffee? «Was will der bloss von uns?», mögen sich Skeptiker fragen. Kommt hinzu, dass er auch nicht mehr ohne angelsächsisches Präfix auszukommen scheint: Specialty Coffee. Neu an diesem Begriff ist allerdings nur, dass er sich allmählich seinen Weg in den Volksmund bahnt.
 
Dabei helfen junge Gastronomen wie Shem Leupin und Thomas Leuenberger, die im Coffee im Kreis 4 ausschliesslich Spezialitätenkaffee anbieten. Leupin, ehemaliger Schweizer Barista-Meister und beim Kaffeeröster Stoll im Qualitätsmanagement tätig, erklärt: «Specialty Coffee ist Kaffee, der unter den besten Bedingungen angebaut, geerntet und zubereitet wird.»
 
Leupin lässt durchblicken, dass es kein leichtes Unterfangen ist, andere für seine Faszination zu gewinnen – vor allem hier, wo die Begeisterung manchmal als Belehrung missverstanden werde. In seiner Heimat Australien sei das anders. Doch er ist überzeugt: «Kaffee ist in Sachen Herstellung und Geschmacksvielfalt ein ähnlich komplexes Produkt wie Wein. Weshalb soll der Kaffee weniger Aufmerksamkeit kriegen?» Das kleine Coffee an der Grüngasse will das ändern und ein Bewusstsein für die Qualitätsunterschiede von Kaffee schaffen. «Gleichzeitig», sagt Leuenberger, «macht es uns trotz der Ernsthaftigkeit des Themas vor allem extrem viel Spass, richtig guten Kaffee zu servieren.»
 
Auch Ramon Schalch, Geschäftsführer der Vicafé-Espressobars, geht es um den bewussten Konsum. Das Kleinunternehmen aus Eglisau, das jüngst mit dem Best of Swiss Gastro Award in der Kategorie Kaffee ausgezeichnet wurde, möchte den Specialty Coffee massentauglich machen. Schalch sagt: «Erstmals in der Geschichte des Kaffees werden Transparenz und Qualität thematisiert, so wie man es schon länger beim Fleisch macht.» Eine dringliche Diskussion, wie er sagt, aber auch eine, die nicht bei jedem Konsumenten auf Anklang stösst. Zu lange war Kaffee ein Alltagsprodukt von irgendwo, immer und überall konsumiert – im Büro, im Zug, nach dem Zmittag, beim ersten Date.
 
Doch jetzt kommen da ein paar Angefressene und fachsimpeln über Röstungsarten, Spezialitätenkaffee oder Single-Origin. Schalch ist einer von ihnen und kann nicht mehr anders: «Wenn du auf 1800 Meter über Meer im kolumbianischen Dschungel einem Bauern zuschaust, mit wie viel Sorgfalt er jede einzelne Kaffeekirsche studiert, kann Kaffeetrinken gar nicht mehr nur Kapsel und Knopfdruck sein», sagt er.
 
Es sind aber nicht nur Gastronomen, die dem Kaffee mehr Wertschätzung entgegenbringen möchten. Kurz vor Weihnachten eröffnete das für bedruckte Seide bekannte Zürcher Familienunternehmen En Soie sein Le Café an der Treppe zum Lindenhof. «Um ein Haus zu sein, das alle Sinne anspricht», wie Kreativchefin Anna Meier sagt. In karierten, pastellfarbenen Bechern wird über die Gasse nun Specialty Coffee von Vicafé serviert. Meier: «Weil uns der hohe Qualitätsanspruch, die Expertise und die Begleitung des Produkts auf dem gesamten Weg der Wertschöpfungskette verbinden.»
 
Auch der Surfladen Visitor an der Badenerstrasse unweit des Bezirksgebäudes setzt auf Kaffee von höchster Qualität. Als Kilian Marty und Roland Hauser vor drei Jahren ihren Shop eröffneten, war klar: Eine Kolbenmaschine muss her. «Weil Kaffee zum Verweilen einlädt», so Hauser. Alle drei Monate bieten sie, beraten von Profi Shem Leupin, eine andere Kaffeesorte an, die sie für Espresso, Americano oder Flat White benutzen. Ganz ohne Barista-Ausbildung: «Weil wir kein Café sind, können wir flexibler mit dem Thema umgehen und uns auf Sorten spezialisieren, die uns persönlich interessieren.» Es sei wie beim Surfen, sagt Marty: «Anfangs meinen viele, Surfen habe einfach mit Kelly Slater zu tun. Setzt man sich intensiver damit auseinander, offenbart sich eine faszinierende Kultur. Das ist horizonterweiternd.»

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