17.11.2011, Züritipp

Stadt-Strolche

Sie leben mit ihrem Vierbeiner mitten in Zürich, dort, wo die Verhältnisse eng und die Grünflächen rar sind. Von Joggerinnen, Vätern und Polizisten müssen sie sich einiges anhören. Fünf Hündeler erzählen, warum es sich trotzdem lohnt.

Aufgezeichnet von Stephanie Rebonati
Fotos: Flórián Kalotay

«Ich habe ihr beigebracht, sich anzupassen»
Nadja Putzi (37) mit Bruna (7, Podenco Ibicenco)

«Die Stadt ist nicht das Problem. Sondern die Kombination von Kind, Hund und Stadt. Meine Freundinnen haben Kinder, gehen auf den Spielplatz oder in die Badi. Da kann ich nicht immer mit, weil Bruna ein grosser Windhund ist. Der Wald ist auch keine Option, weil sie jagt. Das ist stressig. Zürich bietet aber schöne Flussrouten, kleine Strassen und Wege oder eben die Allmend. Es ist ein Geben und Nehmen. Es gibt Tage, an denen passe ich mich mehr Bruna an, an anderen ist es umgekehrt. Wir sind ein eingespieltes Team. Flexibel halt.

Als selbstständige Fotoproduzentin und kuratorische Assistentin eines Kulturbetriebs sieht bei mir jeder Tag anders aus. Darum hat Bruna einen Götti, der eine grosse Unterstützung ist. Er nennt sie liebevoll Brüneli. Ich möchte nicht Brunas einzige Bezugsperson sein. Früh habe ich ihr beigebracht, sich den Gegebenheiten anzupassen. Das ist unabdingbar, denn die Stadt ist ein Schmelztiegel. Ich sensibilisiere Bruna auf Menschen mit Behinderungen, Leute verschiedener Hautfarben und Kleinkinder, die schreien und fuchteln. Das liegt in meiner Verantwortung. Rituale pflegen wir auch: Jede Woche gehen wir auf den Markt beim Helvetiaplatz. Dort bekommt Bruna von einer Metzgerin ein Stück Fleisch geschenkt. Das ist wie im Dorf.»

«Es gibt Momente, wo sie mich wirklich versteht»
Anthony Mangham (25) mit Daisy (7, Miniature Pincher)

«Meine Daisy ist ein merkwürdiges Tier. Sie ist ein Katzen-Pferd-Hund-Hybride. Sie stolziert wie ein Zirkuspferd, schmiegt sich wie eine Katze an mein Bein, und bellen tut sie wie ein Hund. Ich bewege mich wie sie - wie auf einem Catwalk. Und wir haben dieselben grossen, traurigen, braunen Augen. Ich lebte in New York, einer Stadt, die sehr einsam machen kann. Als ich Daisy vor sieben Jahren in einem Pet Shop an der Christopher Street in Manhattan gekauft habe, war sie derart klein, dass sie in meinem Schuh schlafen konnte. Daisy war lange meine einzige Begleiterin, in meinem Bett durfte sie trotzdem nie schlafen.

Vor zwei Jahren kamen wir nach Zürich. Eine hundefreundliche Stadt! Hier darf Daisy mit ins Restaurant oder in die Boutique, und die Natur ist so nah: Uetliberg, Sonnenberg, Sihltal. In New York fährt man zwei Stunden für eine grüne Fläche. Im Central Park, der so gross ist wie ein Nationalpark, bekommen Hunde zwei eingezäunte Quadratmeter. Sie rennen im Kreis und bekommen Klaustrophobieattacken. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Daisy versteht, was ich sage. Das war soeben der Fall. Sie hat mich angeschaut, das sagt: ‹Was erzählst du da bloss?› Ich liebe Daisy wegen ihrer exzentrischen und wunderbar komischen Persönlichkeit.»

«Ich foutiere mich um das Leinengebot»
Urs Brack (44) mit Arco (12, Jack Russel)

«Eines Abends spazierte ich am See, als mich eine joggende Amerikanerin verbal attackierte. Ich sei ignorant, ein Gesetzesbrecher. Ich stand mit offenem Mund da. Nach dem kleinen Intermezzo ging ich weiter und nahm Arco nicht an die Leine. Ich foutiere mich um das Leinengebot. Der Mensch muss sich über gewisse Dinge hinwegsetzen und nicht alles so ernst nehmen. Ausserdem sind angebundene Hunde aggressiver. Arco wuchs auf dem Land auf, bis ihn seine Besitzer nicht mehr wollten. Im Volg hing dann ein Zettel: ‹Jack Russell zu verschenken›. Das kam für mich zum richtigen Zeitpunkt.

Ich wollte einen Hund, weil ich vor lauter Arbeit nie an die frische Luft kam. Die Besitzer wollten wissen, wo Arco leben würde, also kamen sie nach Zürich in den Kreis 1. Arco rannte durch die Wohnung und legte sich ins bereitgestellte Hundekörbchen, als ob er das schon immer getan hätte. Das ist sechs Jahre her. Sobald er morgens hört, wie ich mein Eau de Toilette auftrage, steht er neben mir. Wir spazieren durch Zürich und schauen, wie die Stadt erwacht. Dann gehen wir in mein Interieur-Geschäft am Bürkliplatz, Arco geht jeweils selbstständig Gassi. Er macht auf dem Bürkliplatz seine Runden und wird von einem Polizisten gelegentlich in den Laden eskortiert - Busse von 40 Franken inklusive. Das ist aber im Budget integriert.»

«Hunde werten das Stadtbild auf»
Claudia Desax (32) mit Gipfeli (8, Cocker Spaniel)

«Zürich ist nicht hundefreundlich. Das hat vor allem mit den Menschen zu tun, etwa mit Eltern von Kleinkindern, die mir sagen, wie ich den Hund zu halten habe. Die haben doch selber Schiss und benutzen ihre Kinder als Medium. Hunde in der Stadt sind wichtig, sie werten das Stadtbild auf, bringen Natur auf die Strassen. Heutzutage sind Hunde nicht mehr Beschützer und Jäger, sondern einfach nur beste Freunde. Gipfeli ist ein Stadthund. In Bangkok geboren, in Zürich aufgewachsen. Wir sind den ganzen Tag zusammen, und das hat nichts mit Einsamkeit oder Kinderersatz zu tun.

Bevor wir vormittags in meine Kleider-Boutique gehen, machen wir eine Runde im Quartier: Bäckeranlage, Herman-Greulich-, Kanzleistrasse und dann auf einen Kaffee in die Sportbar, unser Stammlokal. Ich bin Bündnerin, mein Ehemann ist Thai - Gipfeli haben wir rätoromanisch erzogen. Er hört auf Sesa (Sitz) und Pei (Fuss). Vor acht Jahren machte ich als Szenografiestudentin ein Austauschsemester in Bangkok. Für meine Schwiegermutter in spe sollten wir auf dem Chatuckak Weekend Market einen Welpen kaufen. Dort lag der Cocker Spaniel in einer Wäschezaine, klein und goldig wie ein Gipfeli. Schliesslich kehrte ich zurück, mit Ehemann und Hund. Wenn ich ein Bild von ihm auf Facebook stelle, bekommt er unzählige ‹I likes› und ‹Jööös!›. Das ist schon krass.»

«Unsere Tara ist der harmloseste Hund»
Geraldo Graf (30), Sarah Detandy (27) mit Tara (9, American Pitbull Terrier)

«Der tragische Tod des kleinen Süleyman 2005 war ein gefundenes Fressen für die Medien. Drei American Pitbull Terrier hatten den Jungen zerfleischt. Klischees wurden den Leuten eingebrannt: Pitbulls seien Kinder-Killer-Hunde. Das ist eine unreflektierte Pauschalisierung. Unsere Tara ist der harmloseste Hund. Oder das: Pitbull-Besitzer sind Zuhälter und Gangster. Sarah ist Kleinkinderzieherin, und ich bin Tontechniker. Nach dem Vorfall musste Tara einen Maulkorb tragen. Heute trotz Pflicht nicht mehr, weil sie einen Wesenstest bestanden hat.

Polizisten halten uns deswegen oft an. Wir zeigen ihnen jeweils den Ausweis, der von der Kantonstierärztin signiert ist, die staunen dann erst mal. Die meisten haben keine Ahnung, sind schlecht informiert. Es ist so, dass unsere Gesellschaft nur sehr schwer Vorurteile abbauen kann. Das zeigt sich auch bei der Wohnungssuche. Wir haben in Zürich lange eine neue Bleibe gesucht. Mit Hund? Keine Chance. Wir haben bald aufgegeben. Was wir aber nicht aufgeben, ist, zu zeigen, dass Tara ein Pitbull mit Sozialkompetenz und Herz ist. Wir haben viel Zeit und Geduld in ihre Erziehung investiert. Das macht den Unterschied. Und wir haben Regeln: Wenn ein Kind Tara streicheln möchte, fragen wir die Eltern. Wir respektieren verschiedene Einstellungen gegenüber Hunden. Im Gegenzug erwarten wir, dass wir und Tara respektiert werden.»

Zürich und seine Vierbeiner
Laut der Hundekontrolle sind in Zürich offiziell 6360 Hunde registriert, ihnen stehen 650 Hundekotbehälter zur Verfügung. Wer ein Tier hält, muss jährlich eine Steuer in der Höhe von 180 Franken abgeben und über eine Haftpflichtversicherung verfügen. Rechtliche Grundlagen zur Haltung sind das Hundegesetz und die Hundeverordnung. 2008 stimmte das Zürcher Volk mit rund 61 Prozent für ein Verbot von Kampfhunden. Aktuell diskutiert der Ständerat jedoch eine Aufhebung des Verbots und eine landesweite Regelung.

Auch die Grünräume der Stadt Zürich werden hinsichtlich ihrer Voraussetzung für die Nutzung mit Hunden überprüft und neu bewertet, wie die Behörden auf Anfrage schrieben. Herausfordernd sei dabei, die Bedürfnisse aller Erholungssuchenden in Parks und auf Grünflächen gleichermas-sen zu befriedigen. Ein Hundeverbot wird nach kantonalem Gesetz aber weiterhin für Friedhöfe, Badeanstalten, Schulanlagen und Sportfelder gelten. Beliebte Spazierrouten liegen ausserhalb des Stadtzentrums: Uetli-, Chäfer-, Zürich- und Hönggerberg, Allmend Brunau und Sihltal. (sre)

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